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Joe Golem und die versunkene Stadt

Joe Golem und die versunkene Stadt

Titel: Joe Golem und die versunkene Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Mignola
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hatten. Während der Zeit, in der sie seine Gefährten waren, hatte keiner von ihnen ihn je hintergangen. Einige waren bessere Detektive gewesen als andere, intelligenter und gründlicher, manche dafür geselliger, humorvoller und mit dem Talent begabt, sein geplagtes Herz zu erfreuen.
    Bei diesem Gedanken lachte er leise in sich hinein, doch selbst das Lachen verursachte heftigen Schmerz in seiner Brust. Das Knirschen wurde lauter.
    Bitte, Simon, um Ihrer selbst willen , wisperte eine weitere Stimme, die er nur zu gut kannte. Diesmal konnte er nicht anders, er musste zu der verschwommenen Gestalt hinüberblicken, die in den Schatten stand. Im schmutzigen Londoner Stadtviertel Shadwell war Arthur Kenneally von einem brutalen Mörder in der Themse ertränkt worden   – einem Mörder, der ihn verschont hätte, hätte Kenneally ihm verraten, wo Simon Church zu finden war. Kenneally hatte sich für ihn geopfert.
    Mr.   Church schloss die Augen, lehnte sich an das Bücherregal und presste die Stirn gegen die glatten Ledereinbände seiner kostbarsten Bände. Trauer und Furcht brodelten in ihm wie ein Schrei, den er nicht für immer zurückhalten könnte. In dem einen Jahrhundert als Detektiv hatte er mehr als ein Gespenst gesehen   – Spukgestalten, die in dunklen Häusern und auf felsigen Meeresklippen lauerten, Orten voller Schmerz und Trauer, Orten der Enttäuschung und der verlorenen Liebe. Nur einmal war er bisher einer Erscheinung begegnet, die er im Leben gekannt hatte.
    Dennoch, nun waren sie alle hier, sämtliche Männer, die die Rolle seines besten Freundes und Vertrauten eingenommen hatten, die sich mit ihm der Gefahr gestellt hatten, die seine Arroganz und innere Anspannung ertragen hatten, die kühle Konzentration, die er oft an denTag gelegt hatte, um alles andere von sich fernzuhalten. Hawthorne, der ihn von allen am besten gekannt hatte   – und auch das Beste von ihm, als die Spannkraft der Jugend ihn noch beseelt hatte. Kenneally, der lieber sein Leben gegeben hatte, als den großen Detektiv Simon Church zu verraten und in Gefahr zu bringen.
    Und ihnen wollte er sich nicht stellen?
    Das Gesicht verzerrt, um den wütenden Schmerz, die Steifheit seiner Muskeln und das Knirschen geborstener Zahnräder in seinem Leib zu unterdrücken, richtete Mr.   Church sich mit aller Kraft auf, die ihm geblieben war. Er hob das Kinn, wandte sich den Erscheinungen seiner Vergangenheit zu, die aus den Schatten getreten waren   – die vielleicht stets in seiner Nähe gewesen waren, knapp außer Reichweite   –, und öffnete die Augen. Er starrte die Gespenster an und sehnte sich nach seiner Pfeife.
    Erinnern Sie sich daran? , fragte Hawthorne.
    Doch nun, da Mr.   Church sah, dass seine Lippen sich nicht bewegten, klang die Stimme des Gespensts wie das Flüstern des Windes, der lange Vorhänge flattern lässt. Hawthornes mal deutliche, mal verschwommene Phantomgestalt wies auf eine kleine Schatulle aus Palisander, die unauffällig auf einem Regal in Hüfthöhe stand.
    Mr.   Church schluckte mühsam und schmeckte Öl. Sein Mund fühlte sich trocken an.
    »Natürlich erinnere ich mich«, sagte er.
    In der Schatulle lag ein einzelner Opal, ein roter Stein, den schwarze Adern durchzogen. Hätte er die Schatulle untersuchen sollen, so hätte er darin, dass wusste Church, außerdem die Überreste des hundert Jahre alten Lorbeerblattes gefunden, in das der Stein einmal eingewickelt gewesen war.
    »Wie könnte ich ihn vergessen?« Nun sprach er in einem Flüsterton, der nur für ihn selbst bestimmt war.
    Wie eine verbotene Geliebte, angenehm und beschämend zugleich, legte eine alte Schuld die unsichtbaren Arme um ihn. Er hatte die Schatulle als Mahnung behalten, doch mit den Jahrzehnten war sie in einem Haus, das mit Erinnerungsstücken angefüllt war, zu einem weiteren Souvenir unter vielen geworden. Als er sich in dem Studierzimmer umblickte, wusste er, was er sehen würde: eine zerbrochene Calabash-Pfeife, einen Füllfederhalter, den Dolch eines Sikhs, eine winzige Runentafel, eine lautlose Glocke, einen gesprungenen Kelch und Dutzende anderer Kuriositäten aus den Verbrechen, die er aufgeklärt, und den Tragödien, die er verhindert hatte.
    Morris wusste um die Gefahren , sagte Thomas Cranhams Gespenst.
    Mr.   Church nickte und zuckte zusammen, als sich ein neuer Knoten des Schmerzes in seiner Seite meldete. Er musterte die durchscheinenden Gesichter der in seinem Studierzimmer versammelten Geister, aber er wusste

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