Joe Kurtz 02 - Bitterkalt
Quartett kehrten auf die Bühne zurück. Sie begannen mit einer langsamen Interpretation von »Inchworm« im Stil von Patricia Barber.
Frears sah wieder Kurtz an, der seine .40 Smith & Wesson inzwischen gesichert und beide Hände auf den Tisch gelegt hatte. Er nahm das Foto des Mädchens weder auf, noch sah er es an.
»An jenem Wochenende«, fuhr Frears mit seiner Erzählung fort, »holte James B. Hansen Crystal ab. Er sagte, Denise wäre erkältet zu Hause geblieben, aber er sei mit dem Fahren an der Reihe und wolle sich nicht um seine Verpflichtung drücken. Doch statt sie zum Stall zu fahren, steuerte er mit ihr ein Waldgebiet am Rand von Chicago an, wo er unsere Tochter vergewaltigte, quälte, ermordete und ihre nackte Leiche, die später von Wanderern entdeckt wurde, einfach liegen ließ.«
Frears Stimme blieb kühl und unbewegt, als würde er eine Geschichte berichten, die nichts mit ihm zu tun hatte, doch jetzt hielt er für eine Minute inne. Als er fortfuhr, lag ein Unterton, vielleicht ein leichtes Zittern, in seiner Stimme. »Sie werden sich fragen, Mr. Kurtz, woher wir so sicher wissen, dass es James B. Hansen war, der dieses Verbrechen begangen hat. Nun, er rief mich an, Mr. Kurtz. Nachdem er Crystal getötet hatte, rief er mich von einer Telefonzelle aus an – damals waren Mobiltelefone noch eine Seltenheit – und erzählte mir, was er getan hatte. Und er kündigte an, nach Hause zu fahren, um seine Frau und seine Tochter zu töten.«
Das Coe-Pierce-Quartett schwenkte vom relaxten »Inchworm« zu einem stilisierten »Flamenco Sketches« um, bei dem der junge schwarze Trompeter Billy Eversol im Mittelpunkt stand.
»Ich alarmierte natürlich die Polizei«, sagte Frears. »Ein Streifenwagen fuhr zu Hansens Haus in Oak Park. Er war vor ihnen da. Sein Range Rover parkte in der Einfahrt. Das Haus stand in Flammen. Als das Feuer gelöscht war, fand man die Leichen von Mrs. Hansen und Denise – beiden war mit einer großkalibrigen Pistole in den Hinterkopf geschossen worden – und den verkohlten Leichnam von James B. Hansen selbst. Sie identifizierten ihn anhand seiner Zähne. Die Polizei stellte fest, dass er sich mit derselben Pistole erschossen hatte.«
Kurtz nippte an seinem Bier, stellte das Glas ab und sagte: »Vor 20 Jahren.«
»Nächsten Monat.«
»Aber Ihr James B. Hansen ist nicht wirklich tot.«
John Wellington Frears blinzelte hinter seinen runden Armani-Brillengläsern. »Woher wissen Sie das?«
»Warum sollten Sie sonst einen Privatdetektiv benötigen?«
»Ah, natürlich«, entgegnete Frears. Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und atmete noch einmal tief durch. Kurtz erkannte, dass der Mann Schmerzen litt – nicht nur existenzielle oder emotionale Schmerzen, sondern ganz konkrete körperliche Schmerzen, als erschwere ihm eine Krankheit das Atmen. »Er ist nicht tot. Ich habe ihn vor zehn Tagen gesehen.«
»Wo?«
»Hier in Buffalo.«
»Wo genau?«
»Am Flughafen, in Terminal 2, um genau zu sein. Ich wollte gerade aus Buffalo abreisen – ich war zweimal in Kleinhan’s Music Hall aufgetreten – und hatte einen Flug nach La Guardia gebucht. Ich lebe in Manhattan. Ich war gerade durch dieses Metalldetektorgerät gegangen, als ich ihn auf der anderen Seite des Sicherheitsbereichs entdeckte. Er trug eine teure Ledertasche bei sich und hastete auf eine der Türen zu. Ich schrie – ich rief seinen Namen –, ich wollte ihm folgen, aber die Sicherheitsleute hielten mich auf und ließen mich nicht mehr zurück. Als mich die Sturköpfe von der Security endlich durchließen, war er natürlich längst verschwunden.«
»Und Sie sind sicher, dass es Hansen war?«, fragte Kurtz. »Sah er noch genauso aus?«
»Nicht ganz genauso«, antwortete Frears. »Er ist 20 Jahre älter und rund 15 Kilo schwerer. Hansen war schon immer ein bulliger Typ, er hat in Nebraska auf dem College Football gespielt, doch nun kam er mir noch kräftiger vor. Damals in Chicago trug er lange Haare und einen Bart – es war Anfang der 80er –, jetzt läuft er mit einem Art militärischen Bürstenschnitt rum und ist glatt rasiert. Nein, eigentlich sieht er gar nicht wie der James B. Hansen in Chicago vor zwei Jahrzehnten aus.«
»Aber Sie sind sicher, dass er es war?«
»Absolut«, entgegnete Frears.
»Sind Sie zur Polizei gegangen?«
»Natürlich. Ich habe dort tagelang mit den verschiedensten Leuten geredet. Ich glaube, dass mir einer der Beamten sogar glaubte. Aber nirgendwo in Buffalo ist ein James
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