Joe - Liebe Top Secret
Empörung, Bestürzung und Ärger gefasst. Darauf, dass sie beleidigt reagierte.
Doch sie konnte nur daran denken, wie wahnsinnig gut er duftete.
Was würde er tun, wenn sie den Kopf ein wenig zu ihm neigte und die Wange an sein raues Kinn legte? Wie würde er reagieren, wenn sie sich auf die Zehenspitzen stellte und in sein Ohr flüsterte: „Oh, tatsächlich?“
Es wäre nicht die Reaktion, die er erwartete. So viel stand fest.
Und in Wahrheit ging es hier nicht um Sex, sondern um Macht. Veronica hatte lange genug mit harten Kerlen zu tun gehabt, um das zu wissen.
Nicht, dass er nicht an ihr interessiert war – das hatte er deutlich gemacht, indem er ihr die ganze Nacht lang diese Blicke zugeworfen hatte. Trotzdem hätte Veronica wetten können, dass er in diesem Moment bluffte. Und genau deswegen würde sie ihm klarmachen, dass er nicht automatisch gewann, nur weil er größer und stärker war als sie.
Darum hob sie den Kopf und sagte mit kühler, fast frostiger Stimme: „Man sollte meinen, dass sich ein Navy SEAL der Gefahr bewusst ist, die ein öffentlich zugänglicher Hotelflur bedeutet. Vor allem, wenn man bedenkt, dass irgendjemand da draußen es auf Tedric abgesehen hat, dem Sie übrigens gerade ziemlich ähnlich sehen.“
Joe lachte.
Das war nicht unbedingt die Reaktion, mit der sie nach ihrem verbalen Angriff gerechnet hatte. Andere Männer wären jetzt verärgert, hätten geschmollt oder finster dreingeschaut. Joe lachte.
„Ich weiß nicht, Ron“, erwiderte er und ließ sie los. In seinen dunklen Augen schimmerte ein amüsierter Glanz. Und noch etwas anderes lag in seinem Blick. Konnte es vielleicht Respekt sein? „Sie klingen so … anständig, aber ich glaube nicht, dass Sie das wirklich sind. Ich schätze es eher wie ein Schauspiel ein. Vermutlich gehen Sie nach der Arbeit nach Hause, ziehen das Margaret-Thatcher-Kostüm aus, lösen die Frisur und ziehen sich ein Paar mit schwarzen Pailletten besetzte High Heels an. Und dann gehen Sie aus und tanzen bis zum Morgengrauen in einem Nachtclub Mambo.“
Veronica verschränkte die Arme. „Sie vergessen meinen Gigolo“, sagte sie kurz angebunden. „Ich hole erst meinen aktuellen Gigolo ab, und dann tanzen wir bis zum Morgengrauen Mambo.“
„Sagen Sie mir Bescheid, wenn der Platz frei wird, Honey. Ich würde mich gern um den Job bewerben.“
Jeder Schimmer von Humor war aus seinem Blick gewichen. Er meinte es todernst. Veronica drehte sich um. Sie fürchtete, dass er ihr ansah, wie reizvoll ihr der Gedanke erschien, mit ihm bis zum Morgengrauen zu tanzen. Eng aneinandergeschmiegt, zum pulsierenden Takt von lateinamerikanischer Musik.
„Wir lassen Mr. Laughton besser nicht warten“, sagte sie, „Euer Exzellenz.“
„Verdammt“, erwiderte Joe. „Margaret Thatcher ist wieder da.“
„Tut mir leid, Sie zu enttäuschen“, murmelte Veronica auf dem Weg zur Suite des Geheimdienstes. „Aber sie war nie weg.“
„Saint Mary liegt genau hier in Washington“, erklärte Veronica. Sie saß direkt neben Joe an dem großen Konferenztisch. „Irgendjemand streicht die Klinik immer wieder vom Programm.“
„Es ist unnötig“, erwiderte Kevin Laughton in seinem monotonen, fast gelangweilt klingenden Akzent.
„Dem stimme ich nicht zu.“ Veronica sprach sanft, aber bestimmt.
„Sieh mal, Ronnie“, meldete sich Senator McKinley zu Wort. Veronica schloss kurz die Augen. Gott, Joe hatte inzwischen dafür gesorgt, dass alle sie Ronnie nannten. „Vielleicht verstehen Sie das nicht, meine Liebe, aber Saint Mary nützt uns nichts. Das Gebäude ist zu klein, zu gut bewacht. Für die Attentäter ist es zu schwierig, dort einzudringen. Davon abgesehen ist es keine öffentliche Veranstaltung. Die Attentäter suchen jedoch die Aufmerksamkeit der Presse; sie wollen, dass Millionen am Bildschirm zusehen, wenn sie den Prinzen töten. Wir würden nur Zeit verschwenden.“
„Dieser Besuch ist vor Monaten zugesagt worden“, entgegnete Veronica leise. „Er ist geplant, seit der ustanzische Pressesprecher den Staatsbesuch angekündigt hat. Ich finde, wir könnten durchaus eine Stunde des Tages opfern, um ein Versprechen zu erfüllen, das der Prinz gegeben hat.“
Der ustanzische Botschafter Henri Freder bewegte sich auf seinem Stuhl. „Sicher kann Prinz Tedric einen Besuch in Saint Mary machen. Am Ende der Reise, nach der Alaska-Kreuzfahrt, auf dem Rückweg.“
„Dann ist es zu spät“, sagte Veronica.
„Kreuzfahrt?“, wiederholte Joe.
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