Joel 4 - Die Reise ans Ende der Welt
zurück. Und dann suchen wir nach Mama Jenny.«
Wahrscheinlich ist er froh, dass es ihm erspart bleibt, fuhr es Joel durch den Kopf. Aber er sagte nichts. Samuel nickte und klopfte ihm auf die Schulter. »Alles ist wieder gut, wenn ich beim Arzt war«, sagte er. Er ging. Joel sah das Bild an der Wand an. Der junge Mann spielte Geige. Die Frau mit den großen Brüsten schien ihm geradewegs ins Gesicht zu sehen. Ihr Mund war halb offen, als ob sie etwas sagen wollte.
Nichts wird wieder gut,
sagte die Frau auf dem Bild. Im Hintergrund wimmerte die Geige.
»Wird es doch«, sagte Joel. Dann nahm er das Bild vorsichtig herunter und lehnte es so gegen die Wand, dass er es nicht mehr sehen konnte.
Auf der Rückseite klebte ein Kaugummi. Direkt auf ihrem Hintern, dachte Joel wütend. Wie kommt sie dazu zu sagen, dass nichts wieder gut wird? Er hängte seine Sachen zum Trocknen auf. Dann kroch er ins Bett. Nach einer Weile wechselte er in Samuels Bett. Er versuchte sich Samuel vorzustellen. Wie er ins Taxi stieg und wie er ins Krankenhaus ging.
Aber er war viel zu müde. Die Gedanken zerflossen. Bald war er eingeschlafen.
Er wurde wach, weil ihm jemand gegen den Kopf klopfte. Er versuchte sich die Decke über den Kopf zu ziehen. Aber es klopfte weiter. Langsam wurde er aus dem Traum gezogen und schließlich begriff er, dass jemand gegen die Tür hämmerte. Er wickelte sich in die Decke ein und öffnete. Draußen stand eine Putzfrau. Sie sah wütend aus. »Es ist bald zwölf«, sagte sie. »Wenn hier noch geputzt werden soll, muss ich es jetzt machen.«
Zwölf, dachte Joel verwirrt. Hatte er so lange geschlafen? »Ich komm in zehn Minuten wieder«, sagte die Putzfrau. Joel schloss die Tür. Samuel hatte seine Uhr mitgenommen. Er zog sich so schnell an, wie er konnte. Die Sachen waren trocken, er musste also wirklich lange geschlafen haben. Als die Putzfrau wieder klopfte, hängte Joel gerade das Bild an die Wand. Er überlegte, ob sie dafür bezahlt bekam, dass sie putzte. Und wo war Samuel? Warum war er noch nicht zurück?
Die Putzfrau kam herein und sah ihn missbilligend an.
»Wie kann einer bloß bis zwölf schlafen? Aber das geht mich ja nichts an.«
Genau, dachte Joel.
»Hinter dem Bild klebt ein Kaugummi«, sagte er. »Aber ich hab's nicht hingeklebt.«
Dann ging er. Bevor sie etwas sagen konnte. Auf dem Weg zur Rezeption überlegte er, was er machen sollte. Er hatte Hunger. Aber warum ließ Samuel so lange auf sich warten? Er merkte, wie ihn erneut Angst überfiel. In der Rezeption saß wieder der glatzköpfige Mann. Er nickte Joel zu und sah plötzlich freundlich aus. »Es tut mir Leid, dass es deinem Vater so schlecht geht.« »Er kommt bald wieder«, antwortete Joel. »Hat er angerufen?«
»Noch nicht. Aber das dauert im Krankenhaus.« Joel sah auf die Uhr, die an der Wand hing. Zehn Minuten nach zwölf. Er hatte den halben Tag verschlafen. Aber gleichzeitig fiel ihm ein, dass er das Bett, das Samuel bezahlte, jedenfalls lange benutzt hatte. Das war immerhin ein Trost, wenngleich ein kleiner.
»Es hat aufgehört zu regnen«, sagte der Mann und nickte zum Fenster. »Ich glaub, es tut dir gut, wenn du rauskommst.«
»Aber wenn mein Vater anruft?«
»Dann schreib ich dir auf, was er gesagt hat.« Joel nickte. Er musste wirklich raus. Nicht zuletzt um etwas zu essen.
Auf der Straße schlug ihm die Wärme entgegen. Die Menschen trugen Sommerkleidung. Viele wirkten fröhlich. Die haben keinen kranken Papa, dachte Joel düster. Und die haben auch keine Mutter, die abgehauen ist.
Er ging zu der Bierstube, in der sie gestern gegessen hatten. Es freute ihn, dass eine der Kellnerinnen, die sie gestern bedient hatten, ihn wieder erkannte und ihm zunickte. Er setzte sich an denselben Tisch wie gestern. Erst auf Samuels Platz. Dann wechselte er auf die andere Seite. »Wo ist denn dein Freund?«, fragte die Kellnerin und legte die Speisekarte auf den Tisch. Joel kam es plötzlich so vor, als sähe sie der Frau auf dem Bild ähnlich. Der mit dem Kaugummi auf dem Hintern.
»Das ist mein Papa«, sagte er. »Er hat schon gegessen.«
»Kohlrübenpüree mit Kotelett«, sagte die Kellnerin, »oder Hering.«
»Hering. Und Milch, bitte.«
Die Kellnerin wischte den Tisch ab und ging. Joel schaute ihr nach. Um zu sehen, ob an ihrem schwarzen Rock ein Kaugummi klebte. Dann überlegte er, warum er nicht lernte, die Wahrheit zu sagen. Dass Samuel Bauchschmerzen hatte und im Krankenhaus war. Warum behauptete er, Samuel habe
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