Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Joel 4 - Die Reise ans Ende der Welt

Joel 4 - Die Reise ans Ende der Welt

Titel: Joel 4 - Die Reise ans Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
Vom Netzwerk:
schon gegessen? Er fand keine gute Antwort. Sein Kopf war ganz leer.
    Als er nach dem Essen auf die Straße kam, wusste er nicht, was er tun sollte. Eigentlich hätte er ins Hotel zurückgehen und fragen müssen, ob Samuel angerufen hatte. Aber er hatte ein Gefühl, dass es noch zu früh dafür war. Er schlenderte die Straße entlang. Die Nacht im Altersheim, die Frau im grünen Mantel, der Mann, der ihn entdeckt hatte, alles schien gar nicht passiert zu sein. Wir hätten nicht nach Stockholm fahren sollen, dachte er. Wenn diese verdammte Elinor nicht den Brief geschrieben hätte, wäre Jenny weiter verschwunden geblieben. Das wäre genauso gut gewesen.
    Wir hätten nie herfahren sollen. Bestimmt hätte Samuel keine Bauchschmerzen bekommen, wenn wir zu Hause geblieben wären. Vielleicht war sein Magen im Zug kaputtgegangen?
    Ein Schaufenster fesselte seine Aufmerksamkeit. Dort hing eine Weltkarte. Er drückte die Nase gegen die Scheibe und versuchte Pitcairn Island zu finden. Schließlich sah er den kleinen Punkt. Mitten im Stillen Ozean. Er stand lange da und betrachtete die Karte. Dachte an M/S
Karmas,
die entladen wurde. Vielleicht hatte sie den Hafen schon wieder verlassen und stampfte aufs Meer hinaus? Wieder meinte er Samuel vor sich zu sehen, wie er die Gangway hinaufging.
    Er riss sich vom Schaufenster los. Es war halb zwei. In einer Stunde würde er zurück ins Hotel gehen. Vielleicht war Samuel dann auch wieder da. Oder er hatte wenigstens angerufen.
    Er kam zu einem Platz, wo Obst und Gemüse verkauft wurde. Nach langem Zögern kaufte er einen Apfel. Er setzte sich auf eine Bank und aß ihn. Überall waren Menschen. Und alle hatten es eilig. Er überlegte, wohin sie unterwegs sein mochten. Um sich die Zeit zu vertreiben, versuchte er zu zählen, wie viele der Vorbeigehenden Sandalen trugen. Aber das langweilte ihn bald. Zwei Mädchen setzten sich auf die Bank. Sie waren in seinem Alter. Sie redeten sehr laut von jemandem, der Knut hieß und der sich blöd benommen hatte. Als eine der beiden Joel ansah, wurde er verlegen. »Hast du eine Zigarette?«, fragte das Mädchen. Ihre Stimme war schrill und sie sprach schnell. Als ob es nicht nur die Beine eilig hätten, sondern auch die Stimme. »Hab keine mehr«, sagte Joel. »Kannst du keine neuen kaufen?«
    »Klar«, sagte Joel und stand auf.
    »Beeil dich«, schrie das Mädchen. »Wie heißt du?« »Rikard«, sagte Joel.
    Dann ging er. Und kam nicht zurück. Er versuchte genauso schnell wie die anderen zu gehen, es eilig zu haben und sich vorwärts zu drängeln. Aber die Kunst beherrschte er nicht. Was er auch tat, immer war da jemand, der vor ihm war. Bis zur nächsten Straßenkreuzung, zum nächsten Schaufenster. Die ganze Zeit war er der Letzte.
    Jetzt scheiß ich drauf, dachte er. Wenn Samuel aus dem Krankenhaus zurückkommt, fahren wir entweder nach Hause oder zur Arbeitsvermittlung für Seeleute.
    Schließlich war eine Stunde vergangen. Joel betrat die Rezeption und sah den glatzköpfigen Mann gespannt an. Aber der schüttelte bedauernd den Kopf. Samuel hatte nicht angerufen.
    »Das dauert im Krankenhaus. Man muss Geduld haben.« Joel beschloss die Treppe zu nehmen, und ging langsam hinauf. Es war, als ob er einen Berg bestiege, der unendlich hoch war. Jede Stufe forderte alle seine Kräfte. Als er das Zimmer erreichte, war die Tür abgeschlossen. Die Putzfrau hatte den Schlüssel natürlich unten in der Rezeption abgegeben. Aber warum hatte der glatzköpfige Mann nichts gesagt? Joel stürmte die Treppen wieder hinunter. Im selben Augenblick, als er am Tresen ankam, fiel es dem Mann ein. »Du hast den Schlüssel vergessen«, sagte er. Wer war das wohl, der ihn vergessen hat, dachte Joel. Du oder ich? Er schleppte sich wieder die Treppen hinauf, schloss die Tür auf. Erinnerte sich daran, wie es in der Nacht gewesen war. Als Samuel dagesessen hatte, die Hände auf den Bauch gepresst.
    Zuerst legte er sich aufs Bett und schaute zur Decke. Dann prüfte er nach, ob die Putzfrau das Kaugummi entfernt hatte. Das hatte sie nicht.
    Dann zog er das Rollo herunter. Er stellte sich vor den Spiegel und er fand, er sah aus wie der Teufel persönlich. Wieder zurück ins Bett. Jetzt saß plötzlich das Mädchen mit der schrillen Stimme auf der Bettkante. Und fragte, ob er Zigaretten hätte. Er versuchte ihren Tonfall nachzuahmen. Dann legte sie sich neben ihn. Zum ersten Mal, seitdem er aufgewacht war, vergingen mehrere Minuten, ohne dass Joel an Samuel dachte. Dann

Weitere Kostenlose Bücher