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Joel 4 - Die Reise ans Ende der Welt

Joel 4 - Die Reise ans Ende der Welt

Titel: Joel 4 - Die Reise ans Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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klopfte es an der Tür. Joel sprang aus dem Bett. Samuel, dachte er.
    Aber es war die Putzfrau. »Telefon«, sagte sie.
    Joel flog. Aber er konnte weder die Propeller noch die Flügel kontrollieren. In dem Augenblick, als er in der Rezeption landen wollte, stolperte er über eine Teppichkante und knallte vornüber hin. Er warf einen Haufen Taschen um, die ein neu angekommener Hotelgast gerade abgestellt hatte. Der glatzköpfige Mann brach in Gelächter aus und zeigte dann auf eine kleine Telefonzelle. Joel schloss die Tür hinter sich, holte tief Luft und hob den Hörer ab. »Joel«, sagte er. »Wo bist du? Wie geht es dir? Wann kommst du? Ich bin im Hotel und warte auf dich.« Er bekam keine Antwort. Er hörte nur ein Klicken. Dann war die Leitung tot. Er rief vergeblich in den Hörer. Aber Samuel war nicht da. Niemand war da. Er legte auf und ging hinaus. »Da war niemand dran«, sagte er. »Nicht?« »Was hat er gesagt?« »Wer?«
    »Samuel, mein Papa.«
    »Da war eine Frau am Apparat, die hat nach dir gefragt. Wahrscheinlich eine Krankenschwester.«
    »Aber warum wurde das Gespräch unterbrochen?« »Das passiert manchmal. Die rufen bestimmt bald wieder an.«
    Joel setzte sich hin und wartete. Nach einer halben Stunde gab er es auf und ging die Treppe hinauf. Jetzt war es kein Berg mehr. Jetzt war es ein Absturz.
    Er legte sich aufs Bett und wartete. Dann stand er auf, nahm Samuels Taschenmesser und kratzte das Kaugummi von der Rückseite des Bildes.
    »Sag nichts«, sagte er zu der Frau auf dem Bild und hängte es wieder auf.
    Er ging zur Toilette. Danach mochte er sich nicht mehr aufs Bett legen. Er versuchte, den Griff von Samuels Koffer besser zu reparieren. Dabei ging der Griff ganz ab.
    Im selben Augenblick klopfte es wieder an der Tür.
    Joel sprang auf.
    Die Tür wurde geöffnet.
    Vor ihm stand eine Frau. Sie trug eine blaue Jacke. Aber Joel erkannte sie sofort wieder. Obwohl sie in der Nacht einen grünen Mantel getragen hatte, als sie das Haus Nr. 32 in der Östgötastraße verließ.

8
    Joel suchte.
    Er suchte verzweifelt. Schließlich meinte er das zu finden, wonach er suchte. In ihren Augen. Dort waren sie sich ähnlich. Aber er starrte sie entsetzt an. Und er dachte, daran wollte er sich später erinnern, dass er es sich so nicht vorgestellt hatte. Die Begegnung mit Mama Jenny. Wie viele Male hatte er diese Begegnung in der Fantasie erlebt, durchgespielt? Er wusste es nicht. Eine Begegnung auf der Straße hatte er sich ausgemalt. Oder an einem Strand. Oder tief drinnen in einem Wald. Aber niemals hier, in einem Hotel, das
Der Rabe
hieß. Nicht so, dass er die Tür aufriss und glaubte, es sei Samuel, der draußen stände. Sie war hereingekommen und hatte die Tür hinter sich geschlossen. Joel starrte sie nur an.
    »Wo ist er?«, fragte sie. Ihre Stimme war trocken und angespannt.
    Auch darüber hatte Joel viele Male nachgedacht. Wie sprach Mama Jenny?
    Jetzt wusste er es. Trocken und angespannt.
    »Samuel ist nicht da«, antwortete er.
    »Wo ist er? Wann kommt er wieder?«
    Joel beschloss hastig, ihr nicht zu sagen, was war. Dass Samuel Bauchschmerzen hatte und im Krankenhaus war. »Er ist weggegangen. Ich weiß nicht, wann er wiederkommt.« Dann gab es da eine Frage, auf die er sofort eine Antwort wollte. »Hast du angerufen?«
    »Ja. Aber ich wollte dich lieber treffen, als mit dir am Telefon zu reden.«
    Dann sind wir uns immerhin in dieser Beziehung ähnlich, dachte Joel. Ich mag auch nicht am Telefon reden. Sie war bis in die Mitte des Zimmers gegangen. Joel hatte sich rasch zum Fenster zurückgezogen. Die ganze Zeit starrte er sie an. Und doch war ihm immer noch, als ob er sie eigentlich nicht sehen konnte. Sie war wie eine Fata Morgana. Etwas, das es gab und doch nicht gab. Sie setzte sich auf den äußersten Rand des Stuhles. Plötzlich fiel Joel ein, dass sie genauso viel Angst haben könnte wie er.
    »Ich weiß nicht, was ich sagen soll«, sagte sie und sah auf ihre Hände.
    Joel sah sofort auf seine eigenen.
    Es wurde still.
    Was soll ich sagen, wenn sie nicht weiß, was sie sagen soll?, dachte Joel. Er starrte sie nicht mehr an. Jetzt war er verlegen. Heimlich schaute er zu ihr hin, während sie auf ihre Hände sah. Er hatte sich immer ausgemalt, dass dieser Augenblick etwas Jubelndes haben würde. Wenn er endlich seine Mama traf. Kein Starren, keine Verlegenheit. Er musterte sie verstohlen weiter. Die ganze Zeit suchte er nach Ähnlichkeiten. Ihre Haare waren weich und gelockt. Nicht

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