Joel 4 - Die Reise ans Ende der Welt
nicht sagen. Trotzdem schien der Mann zu zögern.
»Deine Mama?«
»Ja.«
»Wie heißt sie?«
»Jenny.«
»Hier arbeiten zwei, die Jenny heißen. Wie heißt du mit Nachnamen?«
»Gustafson.«
Joel merkte gleich, dass es die falsche Antwort war. Aber es war zu spät. Der Griff wurde wieder härter. »Hier arbeitet niemand mit Namen Jenny Gustafson. Du bist nicht nur ein Dieb, du lügst auch noch.«
Joel dachte, dass er nichts mehr zu verlieren hatte. Wenn es zwei gab, die Jenny hießen, konnte nur die eine Rydén heißen. Bestenfalls riet er richtig. Aber wenn er richtig riet, könnte es trotzdem falsch sein. Er wusste ja nicht, ob es wirklich seine Mama war, die er durch die Tür hatte gehen sehen.
»Rydén«, sagte er. »Meine Mama heißt Jenny Rydén.« Der Mann lockerte den Griff. Aber nur mit der einen Hand. Immer noch sah er Joel misstrauisch an. »Was willst du mitten in der Nacht von ihr?«
Joel dachte verzweifelt nach, wie er entkommen könnte. Normalerweise fiel es ihm leicht, sich verzwickten Situationen zu entziehen. Aber jetzt schien alles in seinem Kopf stehen geblieben zu sein. »Am besten, wir holen sie.«
Der Mann begann Joel in Richtung Tür zu ziehen. Da fing Joels Kopf wieder an zu funktionieren. »Es ist wohl besser, wenn ich ihr nicht begegne.«
Der Mann blieb stehen und starrte ihn an.
»Hast du nicht gesagt, du bist gekommen um sie zu treffen?«
»Ich kann es erklären.«
Der Mann ließ ihn los. Aber er stand breitbeinig vor der Tür, bereit, Joel festzuhalten, falls er weglaufen wollte. »Ich bin rausgegangen, nachdem sie weggegangen war«, sagte Joel. »Und da ist die Tür zugefallen. Ich wusste nicht, wie ich wieder reinkommen sollte. Sie ist böse, wenn ich abends rausgehe. Ich wollte mir ihren Türschlüssel leihen, nach Hause gehen, aufschließen und den Schlüssel auf den Fußboden legen. Dann würde sie glauben, sie hätte ihn verloren.«
Die Worte kamen, eins nach dem anderen. Er war selbst erstaunt, wie er es schaffte, eine Geschichte zusammenzulügen, die fast wahr klang.
»Und das soll ich dir glauben?«
Ja, dachte Joel. Genau das will ich. Damit ich hier wegkomme.
Im selben Augenblick wurde die Tür wieder geöffnet. Es war derselbe alte Mann wie vor einer Weile. »Was ist los?«, fragte er.
»Geh schlafen, Erik. Du sollst nachts nicht herumwandern. Dann verläufst du dich und legst dich in das falsche Bett.«
Der Alte verschwand.
Joel dachte, er müsste seine Geschichte aufbessern.
»Meine Mama kann sehr wütend werden«, sagte er. Die Antwort war überraschend.
»Das wissen die Götter«, sagte der Mann. Dann wurde er wieder ernst. Das Misstrauen kehrte zurück.
»Woher kommt es, dass du norrländisch sprichst? Deine Mutter ist doch Stockholmerin.«
Joel wusste nicht, was er antworten sollte.
»Es ist eine Art Krankheit«, brachte er hervor und wusste gleichzeitig, dass es das Dümmste war, was er antworten konnte.
»Was für eine Krankheit?«
»Das ist wie mit den Augen. Man kann den Dialekt seiner Großmutter väterlicherseits erben oder die vom Großvater mütterlicherseits.«
»Davon hab ich noch nie was gehört.«
»Ich hab das vorher auch nicht gewusst«, antwortete Joel treuherzig. »Das hat mir erst vor ein paar Wochen ein Arzt erzählt.«
Der Mann schüttelte den Kopf.
»Ich glaube, es ist doch besser, wir holen deine Mama«, sagte er. »Das Ganze wirkt sehr merkwürdig. Was treibst du so spät auf der Straße?«
»Es sind doch Sommerferien. Und ich geh sowieso nicht mehr zur Schule.«
Der Mann schien nachzudenken. Immer noch war er auf der Hut. Und sehr misstrauisch.
»Ich bilde mir ein, Jenny hat nur zwei Töchter.«
Joel spürte einen Stich im Bauch. Also war es falsch. … Die falsche Mama.
Wieder schüttelte der Mann verwirrt den Kopf.
»Ich muss dir wohl trotzdem glauben. Nimm den Schlüssel. Ich werde nichts sagen.«
Auf zittrigen Beinen ging Joel zurück zur Handtasche und steckte die Hand hinein. Aber so sehr er auch suchte, er fand keinen Schlüssel. Er tat jedoch so, als steckte er etwas in seine Hosentasche. Dann stellte er die Handtasche zurück und schloss die Schranktür. »Wie bist du eigentlich reingekommen?«
»Eine Tür an der Rückseite war nicht abgeschlossen.« Der Mann seufzte. »Der Hausmeister vergisst es dauernd.« »Da könnte ja ein Dieb kommen«, sagte Joel.
Der Mann nickte. »Du kannst durch den Haupteingang rausgehen«, sagte er dann. »Jenny trinkt im Augenblick Kaffee. Sie ist im
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