JörgIsring-UnterMörd
verstehen.
»Sie trifft keine Schuld.«
»Sprechen Sie
lauter.« Dahlerus erkannte den Klang seiner eigenen Stimme kaum.
Krauss sah ihn an. »Sie trifft keine Schuld.« »Was ist passiert?«
Krauss senkte den
Kopf. »Man hat sie vom Flughafen aus verfolgt. So hat Bensler den
Aufenthaltsort des Jungen erfahren. Er und seine Männer sind in das Haus
eingedrungen. Sie haben alle getötet. Den Jungen haben sie mitgenommen.«
Dahlerus schlug die Hände vors Gesicht. Ihm wurde
schwindelig. Was hatte er nur angerichtet? Krauss sprach weiter, tonlos. Für
Dahlerus hörte er sich an wie ein Richter, der ein Urteil verlas.
»Bensler ist mit dem Jungen nach Deutschland geflohen. Er hatte eine Abmachung
mit Göring, wollte ihm das Kind übergeben. Ich habe das verhindert. Der Junge
ist wieder in meiner Obhut, Bensler und seine Männer sind tot.«
Der Schwede mochte es kaum glauben. Göring war in die schreckliche
Geschichte verwickelt. Er hatte die Toten mitzuverantworten. Es war furchtbar.
In Dahlerus' Kopf herrschte heilloses Durcheinander. Ich muss aufpassen, sonst
brennen mir die Sicherungen durch, dachte er. Aber er war unfähig, etwas zu entgegnen.
Krauss hatte sich vor ihn gehockt, ihm eine Hand aufs Knie und eine auf die
Schulter gelegt. Er sprach jetzt eindringlich, beruhigend. »Noch einmal: Sie
trifft keine Schuld an dem, was vorgefallen ist. Ich bin hier der Schuldige.
Ich habe auf Sie eingeredet, Sie gedrängt, die Nachricht für mich zu
überbringen. Sie konnten nicht übersehen, auf was Sie sich da einlassen. Sie
wollten nur guten Willens sein, mir helfen. Dass das alles in die Katastrophe
führt, war nicht vorherzusehen. Ich habe gedacht, ich tue das Richtige. Ich
wollte den Jungen schützen. Stattdessen habe ich unfassbares Unglück über ihn
gebracht. Sie waren nur der Bote. Ich war derjenige, der Sie geschickt hat. Ich
kann es nicht oft genug wiederholen: Ich bin der alleinige Schuldige, ich
allein. Ich wollte, dass Sie das wissen.«
Aus Dahlerus
platzte es heraus. »Das ist doch Unsinn. Es war meine Entscheidung, Ihnen zu
helfen. Also habe ich mich mitschuldig gemacht. Ich hätte auch nein sagen
können. Aber ich habe es nicht getan. Ich habe diese Familie in ihr Verderben
geschickt.«
Krauss schüttelte den Kopf. »Machen Sie sich bitte keine Vorwürfe. Ich
habe Sie manipuliert, Sie unter Druck gesetzt, Ihre Hilfsbereitschaft
ausgenutzt. Es war mir bewusst, dass Sie nur schwer nein sagen können. Sie
haben alles daran gesetzt, diesen Krieg zu verhindern, obwohl das nicht immer
leicht gewesen sein muss. Wenn jemand so gestrickt ist wie Sie, lässt er sich
leicht für eine gute Sache begeistern.«
»Wenn Sie damit sagen wollen, dass ich ein Trottel bin, liegen Sie wohl
richtig.«
»Hören Sie auf damit. Sie sind ein Vorbild, ein guter Mensch. Besser als
ich es je war und je sein werde. Besser als die meisten. Als alle, die ich
kenne.«
Dahlerus stöhnte
verächtlich. »Vorbildlich gescheitert, das allerdings.«
Krauss runzelte die Augenbrauen. »Was soll das
heißen?«
Der Schwede hätte
sein Versagen am liebsten der ganzen Welt mitgeteilt. Stattdessen blaffte er
einen einzigen Deutschen an, der ihn aus kalten blauen Augen ansah.
»England hat Deutschland den Krieg erklärt, wissen Sie das nicht? Alle
meine Bemühungen waren sinnlos, vergeblich, Hirngespinste eines naiven
Träumers. Und jetzt kommen Sie und erzählen mir, dass ich außerdem noch den
folgenreichsten Fehler meines Lebens begangen habe.«
Krauss schwieg
einen Moment. Dass Hitler gegen Polen marschierte, war ihm zwar bekannt, aber
nicht, dass sich die Lage verschärft hatte. Wobei dies nur eine Frage der Zeit
gewesen war.
Dahlerus bemerkte, wie es in dem Deutschen arbeitete.
»Das habe ich wirklich nicht gewusst. Aber es ändert
nichts.«
»Woran?«
»Das spielt keine Rolle.«
Dahlerus spürte, wie ihm das Wasser in die Augen schoss. Er war kurz davor,
die Kontrolle über sich selbst zu verlieren.
Krauss redete
wieder auf ihn ein. »Seien Sie doch nicht dumm, Herr Dahlerus. Wie können Sie
für all das die Verantwortung übernehmen? Das ist doch Wahnsinn. Sehen Sie es
mal so: Die Menschen, die in London sterben mussten, waren die ersten Toten
dieses Krieges. Hunderttausende werden folgen, vielleicht Millionen. Wollen Sie
für alle diese Toten die Schuld auf sich nehmen? Damit bringen Sie sich selbst
ins Grab.«
Dahlerus
schluchzte. Es war ihm egal, was Krauss dachte. Dieser Mann hatte selbst
getötet, wahrscheinlich
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