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Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Titel: Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainald Goetz
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der finalen Unerwünschtheit dieses Konsequenzgedankens her blieb auch der, Prütt den von ihm ausgehenden Gestank zuweisende Gedankensatz blockiert, jeder glaubte sich zu irren und hoffte allenfalls, nicht selbst am Weg hierher in einen dünn beschneiten Haufen Hundekot getreten zu sein. Prütt selbst, der in alter Kippenbergertradition zum Frühstück eine Kanne Knoblauchgarspagio getrunken hatte, war geruchlich gegenwärtig sowieso komplett narkotisiert und hatte auch nichts dagegen, dassspäterhin seiner Künstlervita eine entsprechende Gerüchtgeschichte würde angefügt werden müssen: zu der Eröffnung bei den Asspergspießern in Schönhausen sei Prütt direkt vom Flughafen gekommen, er sei noch in Ferienklamotten gewesen und nicht dazu gekommen, sich zu duschen, und habe deshalb stark gestunken, »ha ha ha!«. Aber natürlich habe niemand sich diesbezüglich etwas zu sagen getraut. Prütt sei dort in der Vorhalle am Rand der Flachtreppe von der Aula hoch zur Rotunde wie ein nachgemachter Lüpertz aufgetreten, habe Hof gehalten und sei deshalb auch wie erwünscht genau so behandelt worden, der Künstlerfürst als irre Type.
    Ein Gong ertönte. Prütt hielt inne. Und Kate Assperg sagte: »Kommen Sie, mein Lieber, gehen wir hinein!« Dabei schob sie Prütt etwas an und ging dann neben ihm die vier Stufen hoch zu der schon feierlich besetzten Rotunde. In der ersten Reihe saß der alte Assperg einsam und allein in der Mitte. Die Frau des Bürgermeisters und der Bürgermeister, die Landesministerin für Kultur und Wissenschaften, der Präsident des Schönhausener Kulturvereins Turingia, Kate Assperg, Prütt und zwei seiner Studenten, die Prütt anstelle seiner von ihm hier angekündigten Ehefrau und seiner ebenfalls kurzfristig verhinderten Schwiegermutter mitgebracht hatte, nahmen in der ersten Reihe um den alten Assperg herum Platz, einige Fotographen legten sich quer vor die Versammlung und blitzten von unten immer wieder den Ehrengästen und dem Jubilar brutal in die Augen, und dann konnte die Feier beginnen.

XXVIII
    Holtrops Platz, der bis zuletzt freigehalten worden war, weil immer wieder irgendwer sagte: »nein, er kommt noch!«, war schließlich doch leer geblieben, und nachdem alle sich gesetzt hatten und das Gemurmel im Saal leiser geworden war, trat als Zeremonienmeister Asspergs Dienstevorstand Wenningrode an ein seitlich vorne aufgestelltes Mikrophon, um die Leute zu begrüßen und den Ablauf der feierlichen Matinee zu erklären. Die meisten Gäste nahmen die ihnen beim Hereinkommen übergebene Schmuckkarte, die unter dem Titel »Die Rückkehr der Landschaft« ein besonders gefälliges Kleinbild von Prütt zeigte und innen das Programm auflistete, zur Hand und überprüften beim Mitlesen, ob Wenningrode das Programm auch korrekt, nämlich so ankündigte, wie es auf der Karte stand. Da dies der Fall war und das von Wenningrode Gesagte mit dem auf der Karte Abgedruckten exakt übereinstimmte, senkte sich innerhalb von Sekunden eine unendliche Mattigkeit, Schläfrigkeit und Langeweile auf das Publikum nieder, weil die Aussicht, in den kommenden eineinhalb Stunden hier jetzt vier Reden und drei Musikstücke vorgesetzt und um die Ohren gehaut zu kriegen, für beinahe jeden im Saal das Elend pur und in Höchstdosis war. Nicht natürlich für Kate Assperg, die von Wenningrode als erste ans Rednerpult gebeten wurde. Klein und streng ging sie in ihrer feierlichen ROBE , der Name der Farbe der Robe klang sicher sehr exquisit, die Farbe selbst, verwaschen grünlich lila, schaute aus wie ausgekotzt, energisch ans Pult und lächelte ihr berühmtes Betonlächeln in den Saal hinein, viel zu lange und schweigend. Dann hob sie an: »Sehr geehrte Frau Minister, sehr geehrter Herr Bürgermeister, sehr geehrter Herr Präsident, verehrte Eminenzen, Prominenzen, liebe Asspergianer,mein lieber Berthold!« Das letzte Wort, den Namen ihres Mannes, bellte sie mit einer solch grausamen Heftigkeit in den Saal, dass nicht nur der so angesprochene alte Assperg, obwohl er den schneidenden Ton seiner Frau gewohnt war, erschreckt zusammenzuckte, sondern fast jeder um ihn herum auch, und mancher verwundert dachte: »Warum nur hasst sie ihn so sehr?« Und die einfache Antwort, die jeder ältere Mensch wusste, war die ganz normal kaputte: weil er sie früher, als sie schwächer war, genauso gehasst und angebellt hatte wie sie ihn jetzt, wo er der Schwächere war. Oder es war genau umgekehrt, nicht Hass, sondern Liebe entzweite die

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