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Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Titel: Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainald Goetz
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Prütt verbal dazugeredeten Abgrund an Schöpfungstiefe mitsehen zu können, hatten auf den Landschaften, die in gefällig ausgeblichenen Farben angenehm locker hingeworfen wirkten, Hügel, Berge, Waldränder und verlorene Einzelfiguren gesehen, dabei innerlich das Gesehene sofort zustimmend abnicken können und gedacht, »schön, irgendwie traurig, angenehm«. Das gab es also offenbar auch noch, erstaunlicherweise, eine zeitgenössische Kunst, von der man sich direkt angesprochen fühlen durfte, gerade vom Gefühl her, was sofort zum nächsten Gedanken oder auch ausgesprochenen Satz führte: »Was kostet so was eigentlich?« Denn davon hatte jeder schon etwas gehört, dass kleine Bilder billiger waren als große. Zum Format befragt, erklärte Prütt, er habe immer groß gemalt, meistens riesige Bilder, sowohl in seiner abstrakten Zeit wie auch später, das kleine Format sei für ihn im Moment das vielleicht größte Experiment, das kleine Format sei in sich schon Provokation, sagte Prütt, vielleicht die denkbar radikalste Provokation, auf jeden Fall für ihn, im Rahmen seines eigenen Œuvre. Wie viele andere Maler seiner Generation hatte Prütt als abstrakter Maler angefangen, dann den, nach Selbstauskunft, hochriskanten Weg zur Gegenständlichkeit gefunden und genommen und zu Zeiten des Kunstmarktbooms Ende der 90 er Jahre mit riesigen, gegenständlich gemalten Revolutionsschinken aus der Welt des linken Underground den Nerv der Zeit getroffen und großen Erfolg bei der Kritik und beim Publikum gehabt. Jetzt war der Kunstmarkt, gemeinsam mit der Börse, komplett zusammengebrochen. Überall, wo drei, vier Jahre der Champagner regiert hatte, hieß es plötzlich ganz ernsthaft: »Irony is over.« Auch Prütts Berliner Galerist Rommel hatte für seine Künstler die neue Programmdevise vom »Ende der Frivolitäten« ausgegeben und Prütt die Idee mit den Kleinformaten gesteckt, Begründung: Man kann den Markt nur nehmen, wie er ist, nicht ändern. Prütt hatte die Anregung sofort aufgenommen und sich 400 Leinwände im Format 40 auf 60 Zentimeter liefern lassen, die Dinger quer gelegt und einen Querstrich gemacht, fertig ist die Landschaft, der Querstrich wirkt als Horizont, es lässt sich kaum verhindern. Hat der Querstrich Zacken, ist er Berg, ist er ganz gerade, Wüste oder Meer. Aus einem Querformat mit Querstrich eine Nichtlandschaft zu machen: das hätte eine Herausforderung im bildfinderischen Sinn sein können, aber Prütt musste für zwei große und mehrere kleine Ausstellungen in großen Massen Kleinformate sehr schnell produzieren, da musste er voll ins von ihm so genannte Risiko der massenhaften Kitschproduktion einsteigen und darauf hoffen, dass er den Leuten, so wie hier kurz vor der feierlichen Eröffnung in den Kitschhallen der Asspergstiftung in Kitschenhausen, den Kitsch als Risiko, das Risiko als Kunst würde verkaufen können, und so redete er und gestikulierte groß und musizierte sich selbst mit den groß rudernden Armen den Leuten vor, denn das konnte er wirklich: reden. Die Show war von der Angst zusätzlichvitalisiert, dass der ganze Schwindel doch auffliegen könnte, Prütt führte sich deshalb besonders genialisch auf, selbstkritisch und zweiflerisch, großsprecherisch, hochintellektuell und naiv und frech, alles Elemente, die wirklich in ihm waren, nur zu dieser Verkaufsshow funktionalisiert so billig wirkten, und einer von Prütts Studenten von der Kunsthochschule Kassel, an der Prütt seit einigen Jahren Malerei lehrte, nahm die Szene mit einer Videokamera auf, ging um die Prütt umstehende Gruppe von Zuhörern herum, filmte dabei auch die Zuhörer, dann wieder Prütt, was Prütt, der die auf ihn gerichtete Kamera als wohligen Kitzel spürte und übersah und überspielte, zusätzlich zur Auftrittshöchstleistung animierte.
    Bei besonders ausgreifenden Bewegungen waren in der Nähe des Körpers von Prütt seltsame Gerüche zu bemerken, »er stinkt wie ein Penner«, hätte der die wahrnehmbaren Daten zusammenfassende Satz lauten müssen, aber weder die direkt vor Prütt stehende Kate Assperg noch die daneben stehenden Asspergvorstände Wenningrode, Schuster oder die dort auch stehenden Mitglieder des Rats der Stadt, die diesen impertinenten, von Prütt ausgehenden Gestanks wahrnehmen mussten, konnten es in sich zu dieser Verbalzuspitzung und Präzisierung kommen lassen, denn dann hätte der nächste Gedanke sein müssen, und zwar im wortwörtlichen Sinn: »Der verarscht uns doch alle.« Von

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