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Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Titel: Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainald Goetz
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dieses Weins, dieses, dieses«, er zögerte, suchte, schaute sie an, »diesen Ernst?«
    Sie nickte. Es war ihm völlig egal, wer sie war. Sie war für ihn nicht irgendjemand Konkretes persönlich, sondern nur der ihm zufällig hier gegenübersitzende Mensch, komplett austauschbar. Und obwohl sie den Widerspruch spürte zwischen Holtrops eigener extrem individualisiert aufgeführter Intensität und der Gleichgültigkeit, wem sie galt, fühlte sie sich in ihrer Position nicht unwohl. Sie sammelte Gedanken und Beobachtungen, sie wollte nichts anderes, und er gab ihr auf offene Art Gelegenheit, das zu machen, was sie am besten konnte: zuschauen. Sie mochte ihren Beruf mindestens so sehr wie er seinen und freute sich darauf, die Geschichte später aufzuschreiben und dabei diesen Holtrop so darzustellen, wie er war, nach ihrer Ansicht, wie sie ihn sah. Das würde sie machen in den freien Tagenüber Weihnachten. Sie nippte am Wein, das war also der sogenannte Lieblingswein des Unternehmers Holtrop, der Wein schmeckte okay. Sie war kein bisschen betrunken, auch sonst war niemand am Tisch richtig betrunken. Alles verlief ganz kultiviert. Die Rede war auf Helden gekommen.
    »Die Leute lieben den Sieger«, sagte Holtrop, der natürlich auch hier wieder vorallem von sich selbst sprach, »aber noch lieber sehen sie den Sieger stürzen.« Das klingt fast so, fragte sie, als hätte er Angst vor so etwas. Angst würde er das nicht nennen, aber er glaube an die Strafe der Götter. Er sei Glückskind, habe sein Leben lang viel Glück gehabt, sagte Holtrop, vielleicht sogar unverdient viel Glück. Es gebe da besondere Fügungen, glückliche Zufälle, aus denen Biographie entstehe, die Aufgabe etwa, die er jetzt bei Assperg habe, die Möglichkeit, weltweit zu gestalten, so viel Schicksalsgunst, man könne sich kaum jemanden vorstellen, der nicht darauf warten würde, dass ihm irgendwann für all das die Rechnung präsentiert werden würde. »Die Glückskindrechnung?« fragte sie. Dass man für so viel Glück jedenfalls irgendwann einmal bezahlen müsse. Das glaube er fest, sagte Holtrop, dann machte er eine Pause und schaute düster vor sich hin. Da war die Aufmerksamkeit am Tisch durch das Aufstehen von Frau Barbarella auf deren Körper gezogen worden, vor allem auf die Beine, die in einen sehr engen Rock hineinführten, der den Bau des Körpers dort stark betonte. Der Rock war hellrot, die Beine schimmerten silbrig, und weiß wogte von oben in den roten Rock eine leuchtend weiße, eng taillierte Bluse. Die Frau drängte sich zwischen zwei Tischen hindurch, dabei trat ihr Schamhügel unter dem Rock für Leffers, dessen Gesicht auf Höhe der Tischplatte, so tief in die Sitzbank gehängt saß er da, hinuntergesunken war, einen kurzen Moment lang grell sichtbar hervor, die ineinander- undauseinanderlaufenden Wellen des Körpers in der Schamhügelgegend, sogar die Intimrasur, ein feiner schwarzer Strich, der nach unten hin kräftiger und dunkler wurde, war zu erkennen, von den langsamen Bewegungen der Körperwellen um ihn herum langsam bewegt, gepresst, gedehnt, und der verrückte Punkt unter diesem final realen Ausrufezeichen, extrem herausvergrößert jetzt, war eine haarsträubend prominent erigierte Klitoris. Ein schönes Bild, ein Augenblick. Leffers schaute weg, dann nocheinmal hin und freute sich an seinem Dasein als Mann und Gegenüber einer solchen Frau. Sie hatte sich zuletzt doch mit ihren crazy Oberschenkeln knallrot zwischen den Tischen hindurchdrängen können, feuerte aus ihren der Rasse der Frauen maximal zugehörigen Feueraugen einen triumphierenden Blick auf Leffers’ Gesicht, nur auf dessen untere Hälfte, nicht auf die Augen hin ab, drehte sich um und stakste, offensichtlich von sich selbst belustigt, auf hohen Schuhen tänzelnd richtung Klo.
    Leffers amüsierte sich, mit welcher Effektivität Holtrop der jungen Journalistin genau das Bild von sich verkaufte, das sie am liebsten von ihm haben wollte. Das waren ja alles die allerabgedroschensten Platitüden, die Holtrop hier erzählt hatte, überall zusammengelesenes, letztlich nur nachgeplappertes Zeug. Holtrop selbst merkte nicht, wem er was nachplapperte, wo er sich bediente und von wem er was übernommen oder gestohlen hatte. Er hatte Sehnsucht nach Tiefgang, genau weil er selbst keinen Zugang dazu hatte, und sehnte sich nach großen Fragen, die sich ihm nicht stellten. Aber durch diese Defizite entstand die besondere mimetische Energie, die Holtrop das von außen

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