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Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Titel: Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainald Goetz
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anverwandelte, was ihm fehlte. Und die Art, wie er das Ergebnis dieser dauernd laufenden Anverwandlungsvorgänge präsentierte, wie er redete, was er sagte und wie er sein Gerede brachte, war absolut meisterlich, genau darauf berechnet, das den Leuten darzubieten, was sie haben wollten. So implantierte er ihnen seine Ideen, indem er sie kopierte und zugleich so manipulierte, dass sie seine Ideen für ihre eigenen hielten, wie es laufen sollte, vor allem die Geschäfte, die er mit ihnen machen wollte, wie sie die Welt und ihn sehen sollten, so dass es für ihn am günstigsten wäre. Das war das Menschenfängertum des geborenen Verkäufers Johann Holtrop. Constanze Zegna irrte darin, dass sie sich von ihm nicht wahrgenommen glaubte. Holtrop strahlte die Leute an, die angestrahlt werden wollten, und für den etwas besinnlicheren Moment und Typus Gegenüber hatte Holtrop auch die entsprechenden Boulevardweisheiten der düstereren Sorte im Arsenal. Es gab wenige Leute, die diesem hochverfeinerten, durch und durch automatisierten Werben widerstehen konnten, wenige, die Holtrop, waren sie ihm erst einmal persönlich begegnet, nicht sympathisch fanden.

XXVII
    Holtrop war nach New York gereist, und die Eröffnung in Schönhausen fand ohne ihn statt. Dafür war wenigstens der Künstler erschienen. Musikalisch mit beiden Armen gestikulierend stand Prütt inmitten der Schönhausener Honoratioren und erklärte die Ideenwelt seiner Bilder, die hier in der großen Aula der Asspergstiftung von Kate Assperg selbst zu der programmatisch angelegten Ausstellung »Die Rückkehr der Landschaft« zusammenkomponiert worden waren. Prütt hatte kein Problem damit, das hier in der Provinz von ihm erwartete Klischeebild vom genialisch behauchten Malerfürsten vollumfänglich darzustellen und im Auftritt und im Gesagten den Erwartungen auf genau dem Niveau zu entsprechen, auf dem sie an ihn herangetragen wurden. »Verweigerung wäre mir peinlich«, hatte Prütt dem Lokalchef des Schönhausener Tagblatts im Interview gesagt, diesen Spruch hatten die Zeitungsleute zur Überschrift des heute als Kulturaufmacher abgedruckten Interviews genommen, er passte perfekt in die eng überwachte, beinahe terroristisch organisierte Mitmachwelt des kleinstädtischen sozialen Lebens hier.
    Prütt, 42 , fast zwei Meter groß, kam direkt von einer Urlaubsreise, braungebrannt, die dunklen Wuschelhaare wild zerwirbelt und der lodernde Blick feurig beim Reden in visionäre Weiten hinausgerichtet, er hatte, als Künstler darf und soll man das, eine verrückte Freizeitklamotte zur Feier des Tages der heutigen Eröffnung anbehalten oder extra angezogen, eine dreiviertellange Bermudahose aus dem Armyshop, in beigeweißem Camouflagemuster bedruckt, die Füße steckten weißbesockt in offenen Sandalen, über der Brust schlackerte ein buntfarbenes Hawaiihemd, und weil es fast Winter war, auch in Schönhausen war nachts der erste Schnee gefallen, hatte Prütt einen weiten dunklen Militärmantel über die Schultern geworfen, der innen und am Kragen mit einem sandgelb leuchtenden Löwenfell besetzt war. Prütt redete von Pettibone, Schnabel und Kippenberger, die zu überwinden er mit seinen kleinen Landschaften hier angetreten sei, das Risiko, sich nicht nur der Landschaft, sondern dem von der Landschaft aufgerufenen romantischen Programm gerade heute zu stellen, sei immens gewesen, dieses Risiko vorallem habe ihn beim Malen der neuen Bilder gereizt und geleitet, ob er in den Bildern die selbstgestellte Aufgabe bewältigt habe, sei auch für ihn selbst eine noch offene Frage, denn natürlich sei gegen diese Bilder das Naheliegende gesagt worden, vielleicht nicht zu Unrecht, sagte Prütt, diese Bilder seien Kitsch, aber das genau sei ja das Kalkül gewesen, alldas eben haarscharf nahe an den Kitsch heranzukalkulieren, genau diese Nähe zum Kitsch, und das Kalkül im Umgang mit dem Kitsch sei ja nun das Thema hier! Prütts Hände packten die Luft vor seiner Stirn und rüttelten energisch am imaginären Kitsch in seiner gigantischen Ausweglosigkeit dort, um so auch gestikulatorisch das ungeheuerliche Ausrufezeichen hinter das von ihm Gesagte unübersehbar zu setzen.
    Gigantisch, ungeheuerlich und unübersehbar, grandios, die Zuhörer, die von Kunst absolut überhaupt keine Ahnung hatten, nickten beeindruckt, denn nichts von alledem, wovon Prütt da redete, hatten sie auf den sehr kleinen Bildern selbst erkennen können. Sie hatten die Bilder ganz direkt verstanden, ohne den von

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