John Corey 01 - Goldkueste
gab, so dass das Bier warm war, was schlecht war, während es andererseits gut war, dass ich meinen Anrufbeantworter nicht abhören konnte.
Eigentlich h ätte ich aufs NYPD warten sollen, wie ich Max versprochen hatte, aber stattdessen rief ich ein Taxi, ließ mich zum Bahnhof Riverhead fahren und nahm den nächsten Zug nach Manhattan.
Als ich nach so vielen Monaten in mein Apartment in der East 72nd Street zur ückkam, hatte ich sechsunddreißig Nachrichten auf dem Anrufbeantworter - das Maximum dessen, was er speichern konnte.
Meine Putzfrau hatte meine Post auf dem Küchentisch gestapelt - ungefähr zehn Pfund Mist.
Zwischen Rechnungen und Drucksachen fand ich das end gültige Scheidungsurteil, das ich mit einem Haftmagneten an die Kühl Schranktür hängte.
Ich wollte schon aufhören, den ganzen Postscheiß zu sortieren, als mir ein schlichter weißer Briefumschlag ins Auge fiel. Er war handschriftlich adressiert und trug als Absender die Adresse der Gordons, obwohl der Brief in Indiana aufgegeben war.
Ich riss den Umschlag auf, zog drei Blatt liniertes Briefpapier heraus, das in sauberer Schrift mit blauer Tinte beschrieben war, und las:
Lieber John, wenn Du diese Zeilen liest, bedeutet das, dass wir tot sind- sie sind also ein Gruß aus dem Grab.
Ich legte den Brief weg, ging an den K ühlschrank und holte mir ein Bier. Ich nahm einen Schluck und sagte: »Grüße aus dem Land der lebenden Toten.«
Ich las weiter:
Hast Du gewusst , dass Captain Kidds Schatz in unserer Nähe vergraben gewesen ist? Nun, unterdessen wirst Du das vermutlich wissen. Du bist ein cleverer Mann, und wir w ürden wetten, dass Du das inzwischen rausbekommen hast. Falls nicht, wollen wir Dir die ganze Geschichte erzählen...
Ich trank wieder einen Schluck Bier und las die drei Seiten mit einer detaillierten Chronik der Ereignisse, die mit Kidds Schatz, Plum Island und dem Verhältnis der Gordons zu Fredric Tobin zu tun hatten. Der Brief enthielt keine Überraschungen, nur verschiedene Details, die ich übersehen hatte. In Bezug auf Tatsachen, über die ich Spekulationen angestellt hatte - zum Beispiel über den Schatzfund auf Plum Island -, schrieben die Gordons:
Bald nach unserem Umzug nach Lang Island hat Fredric Tobin uns eine Einladung zu einer Weinprobe geschickt. Wir haben die Tobin Vineyards besucht und dort Fredric Tobin kennengelernt. Weitere Einladungen sind die Folge gewesen.
So hatte Tobins Verführung der Gordons begonnen. Irgendwann hatte Tobin ihnen eine auf Pergament gezeichnete primitive Karte gezeigt, ohne zu verraten, wie sie in seinen Besitz gelangt war. Auf der Karte war »Pruym Eyland« mit Himmelsrichtungen in Kompassgraden, Schrittzahlen, Geländepunkten und einem großen X dargestellt gewesen. Der Rest der Geschichte war vorhersehbar: Wenig später hatten Tom, Judy und Fredric einen Teufelspakt abgeschlossen.
Die Gordons brachten unmissverständlich zum Ausdruck, dass sie Tobin nicht trauten - und dass vermutlich er an ihrem Tod schuld war, selbst wenn er als Unfall, Attentat aus ländischer Agenten oder dergleichen getarnt worden sein sollte. Tom und Judy hatten Fredric Tobin endlich verstanden, aber ihre späte Einsicht hatte ihnen nichts mehr genützt. Mit keinem Wort erwähnt wurde Paul Stevens, von dessen Bespitzelung sie offenbar nie etwas gemerkt hatten.
Mir fiel ein, dass Tom und Judy den Tieren glichen, mit denen sie gearbeitet hatten: unschuldig, dumm und zum Tode verurteilt, sobald sie Plum Island betraten.
Der letzte Satz ihres Briefes lautete:
Wir haben Dich beide sehr gern und vertrauen Dir, John, und wir wissen, dass Du alles in Deinen Kräften Stehende tun wirst, um dafür zu sorgen, dass der Gerechtigkeit Genüge getan wird. Alles Liebe, Tom und Judy.
Ich ließ den Brief sinken und starrte lange blind vor mich hin.
H ätte dieser Brief mich früher erreicht, wäre die vergangene Woche anders verlaufen. Emma wäre jedenfalls noch am Leben gewesen, obwohl ich sie wahrscheinlich nie kennengelernt hätte.
Vor einhundert Jahren kamen Menschen in ihrem Leben gelegentlich an einen Scheideweg, wo sie sich für eine Richtung entscheiden mussten. Heute leben wir im Inneren von Mikrochips, in denen sich in jeder Nanosekunde Millionen von Pfaden öffnen und schließen. Aber was noch schlimmer ist: Jemand anders drückt auf die Knöpfe.
Nachdem ich ungef ähr eine halbe Stunde lang über den Sinn des Lebens nachgedacht hatte, klingelte es an meiner Wohnungstür, und ich machte auf. Draußen
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