John Lennon - across the universe - die spirituelle Biografie
dies anbelangt: Hätte Lennon selbst es sich wohl vorstellen können, seinen 30 Hektar – 300000 m 2 – großen Tittenhurst-Landsitz aufzugeben, stattdessen in einem Wohnwagenpark in Muncie, Mittlerer Westen der USA, zu leben und alles, was er und Yoko Ono besaßen, uns zu überlassen?)
Aber gut, nehmen wir einmal an, dass wir auf dem Weg zu jenem Geisteszustand, in dem es uns möglich ist, »keinen Besitz« zu haben, in einem ersten Schritt zunächst einfach daran denken, den materiellen Wohlstand, mit anderen zu
teilen
. In einem der letzten Interviews vor John Lennons Tod, hat Yoko Ono kundgetan, dass sie zehn Prozent ihres Einkommens an Bedürftige gaben. 268 Wie viel Not und Leid unter den Menschen könnte gelindert werden, würde jede/r von uns zehn Prozent seines Einkommens Bedürftigen zugutekommen lassen?
Erwähnenswert ist ferner, dass Besitz in Lennons Verständnis nicht unbedingt mit
physischem
Besitz gleichbedeutend war. Mit Blick auf Jesu mahnende Worte: »Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt« (Mk 10,25), hat er einmal angemerkt: »Das hab’ ich buchstäblich genommen – dass man seine lieben Habseligkeiten loswerden muss, um Nirvana erreichen zu können. … Die Chancen von Intellektuellen stehen da allerdings deutlich schlechter als meine. Schließlich sind sie von Vorstellungen besessen, … Vorstellungen von dem, was sie vermeintlich zu sein haben. Ich bin nicht mehr länger von Vorstellungen besessen.« 269
Die meisten Menschen, so führte er, um das Gesagte zu erläutern, weiter aus, litten unter der Bürde all der Meinungen und Vorstellungen, die es ihnen gestatten, sich zu definieren – Vorstellungen, die ihnen im Allgemeinen von den Eltern und der Gesellschaft eingeimpft worden seien. Je mehr sie »besitzen«, umso weiter seien sie von der Freiheit entfernt und umso schwerer falle es ihnen, sich durch das Nadelöhr zu zwängen, um ins »Himmelreich« zu gelangen.
Von der idealen Welt, die John Lennon vor Augen hatte, als er 1971 »Imagine« einspielte, hat er keineswegs angenommen, 1972 werde er sie in die Realität umgesetzt sehen. Vielmehr sollte sie als Alternativentwurf dienen, als mögliches Anderswo. In den »großen« Tagen von Nixon, Breschnew, Mao, dem heißen Krieg in Südostasien und dem Kalten Krieg im Rest der Welt, als unsere Zivilisation mit Volldampf auf so etwas wie eine Apokalypse 2000 zuzusteuern schien – wenn auch noch nicht genau absehbar war, welche Form diese Apokalypse annehmen würde –, sollte sie zeigen, wohin die Reise stattdessen führen könnte.
Lennons »absolutes Anderswo« stellte das dar, was der Philosoph Richard Rorty einen »unscharfen, aber inspirierenden
focus imaginarius«
genannt hat, »… ein handliches Stück Rhetorik«, das einer Analyse möglicherweise nicht standhält, aber dennoch von gesellschaftlichem Wert ist, »da es den Weg zu politischen und kulturellen Veränderungen offen« hält. (»Die Helden der liberalen Gesellschaft«, erklärt Rorty übrigens, seien der Dichter und der Revolutionär – eine für John Lennon durchaus angemessene Charakterisierung, die noch stimmiger wird, wenn Rorty erläutert, dass sie »im Namen der Gesellschaft selbst gegen Aspekte dieser Gesellschaft protestieren, die Verrat an dem Bild üben, das sie von sich selbst hat.«) 270
»Imagine« könnte man als ein hochprozentiges Destillat aus Lennons Philosophie bezeichnen. In diesem Song kommt sein ambitioniertes Streben nach Universalität besser denn je zum Ausdruck. Bewusst ging es ihm darum, überall auf dem Planeten den Menschen eine inspirierende Vision nahezubringen – der Verkäuferin in Tokio ebenso wie einem Mechaniker in Warschau, einer Floristin in Prag, einem Straßenmusiker in Barcelona oder einer Lehrerin in Havanna. (Um deutlich zu machen, dass Lennons Inspirationsbemühungen erfolgreich waren, hat man ihm in allen fünf Städten ein Denkmal gesetzt.)
Bis zuletzt warb er für die Vorstellung, dass wir alle
eine
Menschheit sind. Dezent, doch für jeden, der sich die Zeit zum Hinsehen nahm, gut erkennbar, war in das Vinyl rings um das Label seiner Single »(Just Like) Starting Over« der Leitsatz eingraviert: »EINE WELT, EIN VOLK« (»ONE WORLD ONE PEOPLE«). Welche Unterschiede ethnischer oder nationaler Art auch immer jemand der Welt aufzudrücken versuchte, aus Lennons Sicht waren sie und blieben sie stets bedeutungslos.
Hätte Lennons persönliche Philosophie sich gewandelt,
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