John Sincalir - 0970 - Der Werwolf, die Hexe und wir (2 of 3)
Sicht. Auch einen Steg, an dem sie hätte anlegen können, entdeckte sie nicht. Es mußte ihn geben, denn wo Häuser standen und sich Menschen aufhielten, hatten die bestimmt so etwas wie einen kleinen Hafen oder zumindest eine Anlegestelle gebaut.
Die mochte es geben, aber nicht an der Stelle, wo Morgana an Land gehen würde. Da ragte dieser Schilfgürtel wie eine breite Zunge in den See hinein. Es war für sie auch nicht mehr möglich, die Zunge zu umrunden, so drückte sich der Nachen mit seinem Bug hinein, bog Rohr und Schilf auseinander, wurde abgebremst, und Morgana stach die Stange noch härter in das Wasser hinein.
Schließlich rutschte der Nachen nicht mehr über das Wasser, sondern über den Schlick, und auch die Gräser wuchsen nicht mehr so hoch. Sie hatte den Gürtel hinter sich gelassen.
Morgana verließ den Nachen. Es war vielleicht gar nicht so schlecht, daß er an dieser Stelle festlag. So war er zumindest vor einer Entdeckung geschützt.
Ihre Füße patschten durch das Wasser, als sie dem Land entgegenging.
Der Schlamm umklemmte ihre Füße, sie zerrte die Beine hoch, und nach drei weiteren Schritten stand sie endlich auf dem Trockenen.
Vor ihr lag tatsächlich eine kleine Siedlung. Sie bestand aus einfachen Blockhütten, deren Dächer flach auf den unteren Gebäudeteilen lagen.
Eine Straße gab es nicht, dafür führte ein Feldweg von den Bergen hinab zu dieser Stelle.
Der hohe Tafelberg lag links von ihr.
Morgana drehte den Kopf. Selbst aus dieser Entfernung und bei Dunkelheit war er zu erkennen. Er ragte wie eine eckige Wand in die Höhe, aber nichts wies darauf hin, daß in ihm etwas Böses lauerte und er den Zugang zu einer anderen Welt verbarg.
Sie schaute in die andere Richtung. Ein knappes Lächeln huschte über ihre Lippen, denn jetzt entdeckte sie den Steg. Er schloß in seiner Höhe mit dem Schilfgürtel ab, den man in seiner unmittelbaren Umgebung jedoch entfernt hatte, um Platz zu schaffen für mehrere Boote. Sie waren mit dem Steg vertäut.
Die Siedlung schlief. Es war nichts zu hören. Keine Stimmen, kein Schnarchen, kein lautes, keuchendes Atmen, die Ruhe war absolut.
Auch die letzten Lichter waren gelöscht worden, so daß die Dunkelheit wie eine Decke alles verbarg.
Die Hütten standen nicht dicht beisammen. Es gab zwischen ihnen genügend Platz, und Morgana schaute sich mit Argusaugen um. Sie entdeckte zwei Fahrzeuge, geländegängige Typen, die auf einem kleinen Parkplatz vor dem Restaurant standen, das allerdings mehr einer besseren Imbißhalle glich.
Die Gäste konnten bei schönem Wetter auch im Freien sitzen. Auf zwei langen Holzbänken an entsprechend langen Tischen. In einem Anbau war ein Lebensmittelladen untergebracht worden. Seine Tür war ebenfalls verschlossen wie die des Restaurants.
Morgana blickte durch das Schaufenster. Bei diesen schlechten Lichtverhältnissen hatte sie Mühe, etwas zu erkennen. Durch die hinter der Scheibe aufgestapelte Ware war ihr der Blick in den Geschäftsraum verwehrt.
Von der Angelausrüstung bis hin zum Snack konnte der Wanderer in diesem Laden alles käuflich erwerben. Sogar regenfeste Kleidung hing auf fahrbaren Ständern. Daneben standen hohe Stiefel. Aus einer großen Kiste schauten die schmalen Hälse der Bierflaschen hervor. Aber auch schärfere Sachen waren im Angebot.
Sie ging wieder zurück und schüttelte den Kopf. Es gefiel Morgana nicht, was sie hier sah. Alles wies auf eine Bewohnbarkeit dieser Siedlung hin, und trotzdem kam es ihr vor, als hätten eben diese Bewohner den Ort fluchtartig verlassen.
Schliefen sie wirklich alle?
Und wer lebte hier zu dieser Zeit?
Touristen waren kaum da oder gar nicht. Das Wetter mußte sich erst ändern, aber zwei Geländewagen standen vor dem Restaurant. Sicherlich nicht zur Dekoration.
Morgana wollte sich die Häuser genauer anschauen. Ein halbes Dutzend war es schon. Ihre Besitzer hatten sie so gebaut, wie es ihnen gerade in den Kopf gekommen war.
Leere Häuser. Tote Häuser. Aber Morgana hatte die Lichter von der anderen Seite des Sees schimmern sehen, und sie glaubte wirklich nicht an eine Halluzination.
Sie ging weiter.
Gespannt, wie jemand, der jeden Augenblick mit einer Gefahr rechnet.
Die Siedlung war ihr nicht geheuer. Sie nahm sie als abweisend auf, doch sie konnte sich vorstellen, daß sich hier jemand versteckt hielt und beobachtete.
Schließlich blieb sie vor einer stabilen Haustür aus Holzbohlen stehen.
Es gab die übliche Klinke, darunter das Schloß,
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