John Sincalir - 0972 - Die Prinzessin von Atlantis
den Eindruck, sich in einer Traumwelt zu befinden.
Aber das Bild auf dem Schirm stimmte. Es ließ sich nicht wegdiskutieren. Es war keine Täuschung, keine Einbildung. Es war aus dem Nichts entstanden, denn ein Programm, mit dem sie es herholen konnte, besaß sie nicht.
Natürlich kreisten ihre Gedanken um eine Lösung. Es brachte nichts. Sie war noch zu sehr durcheinander und mußte sich erst mit dem vertraut machen, was sie sah.
Auf dem Monitor und direkt vor ihr saß eine wunderschöne Frau mit gekreuzten Beinen. Sie strahlte etwas Erhabenes aus und schien sich als etwas Besseres zu fühlen.
Shao suchte nach einem Vergleich, und der fiel ihr auch sehr bald ein. Die schöne Unbekannte sah aus wie eine Prinzessin oder eine Königin. Sie trug keinen Schmuck, und ihr Körper war mit einem Kleidungsstück bedeckt, daß Ähnlichkeit mit einem einteiligen Badeanzug aufwies. Der Ausschnitt war mit einem breiten, flammenähnlichen Schmuckstück versehen. An den Seiten gebogen, wo die Enden in die Höhe zeigten. Das Schmuckstück bestand aus roten und schwarzen Pailletten und wurde von einigen Steinen dominiert.
Die Person saß auf einem Kissen, unter dem sich keine Unterlage befand, so daß es für Shao aussah, als würde sie in der Luft schweben und zugleich auf diesem Kissen sitzen, das schon einem fliegenden Teppich glich.
Shao sah auch den dunklen Armreif, der ihr rechtes Gelenk umspannte. Ihre Hände lagen auf den Knien.
So verhält sich ein Mensch, wenn er meditiert, dachte Shao. Aber bei dieser Person waren die Augen nicht geschlossen, und darüber wunderte sich Shao schon.
Sie konzentrierte sich jetzt auf das Gesicht. Entweder war es selbst ein wenig schief, oder es lag an der Kopfhaltung, daß Shao dieser Eindruck überkam. Die Nase, der geschlossene Mund, die geöffneten Augen unter dem dunklen Pony.
Offene Augen!
Augen, die trotzdem nicht sahen. Sie waren leer. Es gab keine Pupillen, es gab keinen Hintergrund, es gab einfach nichts.
Shao vermutete, daß die Person auf dem Bildschirm geblendet worden war.
Ja, man hatte ihr das Augenlicht genommen!
Shao atmete tief aus und lehnte sich auf ihrem Drehstuhl zurück. Sie hatte ihre Überraschung hinter sich gebracht. Als Folge davon fing sie an, wieder klar und logisch zu denken.
Daß die Person bei ihr auf dem Bildschirm erschienen war, mußte etwas zu bedeuten haben. Der Verdacht steckte schon lange in ihr, nun aber hatte er sich erhärtet. Sie ging davon aus, daß ihr jemand eine Nachricht geschickt hatte.
Auf irgendeine Weise war ein Fremder in ihren Computer gelangt. Er war nicht durch ein Codewort gesichert, denn sie hatte nichts zu verbergen.
Wer schickte ihr die Nachricht?
Daß sie nur durch Zufall ausgesucht worden war, daran konnte Shao nicht glauben. Es mußte schon seinen Grund haben. Sie gehörte zwar zu den selbständigen Personen, in diesem Fall jedoch hätte sie gern ihren Partner Suko und dessen Freund John Sinclair in der Nähe gehabt, um mit ihnen über das Problem zu reden. Vielleicht hätten die beiden den Ansatz einer Lösung gewußt. So kam sich Shao doch ziemlich allein vor.
Sie starrte der unbekannten Frau in die leeren Augen und kriegte dabei eine Gänsehaut, als sie flüsterte: »Wer bist du? Wie heißt du? Hast du überhaupt einen Namen? Und wo kommst du her?«
Der Computer schwieg.
Die Frau mit den dunklen Haaren schwieg ebenfalls.
Nur Shao schüttelte den Kopf, drückte den Stuhl auf seinen Rollen zurück und sagte: »Du siehst aus wie eine Prinzessin aus einer längst vergangenen Zeit. Du bist ein Stück Geschichte. Ein Bild aus einem Programm, das ich nicht besitze. Aber man hat dich zu mir geschickt.« Sie klopfte gegen die Scheibe und fragte dann: »Wer hat dich geschickt, schöne Unbekannte? Wer?«
Schweigen.
»Du machst es mir nicht leicht«, murmelte Shao. »Wirklich nicht. Ich frage mich inzwischen, ob du in Wirklichkeit so aussiehst wie hier auf dem Monitor, oder ob du nur ein Irrläufer oder Ableger bist, der zufällig in mein Programm hineingeriet. Geschickt von einem Spaßvogel oder einem Hacker, der durchs Internet surft. Bist du im Internet? Kann ich dich dort finden? Hast du eine Internetadresse?«
Shao hörte nichts, abgesehen vom Echo ihrer eigenen, lauter gewordenen Stimme. Kein Zeichen aus dem Computer, keine Akustik, einfach gar nichts.
Shao wollte wieder zurück. Warum? sinnierte sie. Warum gerade ich? Warum hier?
Es war ihr unmöglich, darauf eine Antwort zu finden. Ebenso unmöglich war es
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