John Sincalir - 0973 - Der verhexte Blutwald (1 of 2)
dem Boden, alles war normal, bis auf eine Kleinigkeit. Er hatte keine Blätter mehr. Er war kahl, und auch seine Rinde war verschwunden. So kam er mir immer mehr vor wie ein menschliches Wesen, das wir getötet hatten. Ob sie es nun glauben oder nicht, so sehe ich es. Ich bin ein verflucht harter Knochen, und ich habe mich in meinem Leben wirklich durchschlagen müssen, aber so etwas ist mir noch nie vorgekommen. Allerdings wollte ich die Sache auch nicht auf sich ruhen lassen und habe mich mit meiner Dienststelle in Verbindung gesetzt, dort alles erklärt und darauf gehofft, daß man reagiert. Das scheint ja nun der Fall zu sein, sonst säßen Sie nicht hier.«
»Sehr richtig.«
Kinny schaute mich an und wischte sich dabei den Schweiß aus dem Gesicht. »Ich jedenfalls finde keine Erklärung für dieses Phänomen. Bäume, die wie Menschen schreien, das ist doch unfaßbar! Und einen Tag später war dieser gefällte Baum sogar verwest. Es ist ein Phänomen, ein Rätsel, und ich bin froh, daß man mich nicht ausgelacht hat, das können Sie mir glauben.«
»Wir werden uns die Sache anschauen«, sagte Suko.
»Das hoffe ich sehr. Und ich wäre auch an einer Erklärung interessiert, wie Sie sich denken können.«
»Wir tun da unser Bestes.«
Doug Kinny entschuldigte sich, weil er zur Toilette mußte. Es war gut, daß wir allein reden konnten, und Suko meinte: »Wenn wir schon von einer Erklärung sprechen, dann fällt mir eigentlich nur der Name Mandragoro ein.«
»Das hast du auf den Punkt gebracht.«
»Schon wieder. Hatten wir das nicht vor kurzem, als wir auf den komischen Geomantologen trafen?«
»Vergiß ihn.«
»Aber nicht Mandragoro.«
»Nein, Suko. Und ich werde auch nicht den ungewöhnlichen Geschmack in meinem Mund vergessen.«
»Dann frage Kinny vor allen Dingen nach Greta.«
Ich nickte, trank Bier und schaute Kinny zu, der zurückkam und sogar erleichtert aussah. »So, was ist nötig gewesen. Ich würde jetzt sagen, daß wir losfahren und uns die Bäume mal ansehen. Wir werden ungefähr eine Stunde unterwegs sein. Die Gegend ist einsam. Sie können sich ja hier mit Proviant eindecken.«
»Das wird nicht nötig sein«, sagte ich und schaute ihn direkt an. »Ich habe noch eine Frage, Mr. Kinny.«
»Bitte.«
»Kennen Sie Greta? Greta Kinny, die sich auch Rosenrot nennt?«
Ein Schlag mit dem Hammer hätte den Mann nicht stärker erwischen können als diese Frage. Sein Gesicht wurde bleich. Die Augen wirkten starr, denn er trug nicht mehr die dunkle Brille. Schweiß bildete sich auf seiner Stirn, und es dauerte eine Weile, bis er den Namen flüsternd wiederholen konnte und danach ebenso leise fragte: »Woher kennen Sie Greta?«
»Aus London.«
Er nickte. »Ja, sie war da. Es liegt zwei Jahre zurück.«
»Sie sind gut informiert.«
»Das muß man ja wohl, wenn es dabei um die eigene Tochter geht, Mr. Sinclair …«
*
Jetzt staunten Suko und ich, denn daran hatten wir beide nicht gedacht.
Suko fing sich eher als ich und fragte: »Ihre Tochter?«
»Ja, meine Tochter. Haben Sie das nicht gewußt?«
»Nein, das haben wir nicht.«
»Es ist aber so.« Er atmete tief ein. »Nur würde mich interessieren, woher Sie das wissen. Es ist geheim, denn ich habe aus guten Gründen die Verbindung zu Greta abgebrochen und das Kind in ein Internat gegeben. Ich wollte sein Leben nicht riskieren.«
»Warum?«
»Meine Frau wurde getötet. Ich brauche Ihnen wohl kaum zu sagen, wer dafür verantwortlich war. Vor diesem Zeitpunkt an haßte ich die IRA und beschloß, sie mit meinen Mitteln zu bekämpfen. Ich ging in den Untergrund, aber ich arbeitete tatsächlich für die Regierung. Ich habe Greta auch Geld hinterlassen, damit sie ein normales Leben führen kann. Ich weiß bis jetzt nicht, ob ich mich irgendwann wieder bei ihr blicken lassen soll oder nicht.«
»Das müssen Sie wissen«, sagte ich. »Aber wissen Sie denn, was mit ihr passiert ist?«
Er senkte den Kopf. »Sie ist gelähmt. Das hörte ich. Bei einem Banküberfall wurde sie angeschossen.«
»Genau.«
»Sie sind gut informiert, Mr. Sinclair.«
»Ich war ja dabei.«
Kinny verzog das Gesicht. Sein Mund zuckte. Er schwitzte noch stärker.
»Sie haben – Sie waren …«
»Es war Zufall, und ich habe sie leider nicht retten können«, erklärte ich.
»Und ich war zu feige, um ihr im Krankenhaus einen Besuch abzustatten. Ich habe sie allein gelassen.« Er hob die Schultern. »Sie werden es kaum glauben, aber mich quält mein Gewissen
Weitere Kostenlose Bücher