John Sinclair - 0975 - Hier wohnt der Tod
als ich mich gedanklich auf den Toten konzentrierte, der in einer der Kühlboxen lag.
Das Metall schimmerte im harten Licht der Deckenleuchten. Die breiten Griffe ragten vor. Die Schubladen selbst liefen auf Teleskopschienen und ließen sich leicht herausfahren.
Dr. Muriel Seagram wußte Bescheid.
Zielsicher ging sie auf eine der Laden zu. Sie verglich noch einmal das Schild mit der Nummer und nickte sich selbst zu. »Ja, hier wären wir.«
»Dann mal los«, sagte ich.
Die Ärztin hatte ihre Hand bereits auf den Griff gelegt. Sie lächelte mich kantig an. »Sehr forsch hat sich Ihre Stimme aber nicht angehört, Mr. Sinclair.«
»In dieser Umgebung fühle ich mich nicht eben wohl.«
»Das kann ich verstehen. Auch bei Geister Jägern scheint es wohl Grenzen zu geben.« Sie blickte Suko und mich an.
»Wir sind Menschen«, erklärte mein Freund, »und keine Maschinen.«
»Wie gut, das zu wissen.« Muriel Seagram zog die Lade auf. Es war so gut wie nichts zu hören. Völlig glatt rutschte sie aus der Wand und uns entgegen.
Allerdings lag sie sehr hoch, so daß wir nicht viel sehen konnten. Durch eine Kippvorrichtung glitt sie nach der Arretierung nach unten. Unsere Blicke fielen auf das weißgraue Tuch, das den Körper bedeckte. Aus dem Tragesack war der Tote bereits herausgenommen worden.
Die Ärztin wollte das Tuch zur Seite schlagen. Das gelang ihr nicht, da sie meine Hand stoppte. Ich hatte ihr die Finger auf das Gelenk gelegt.
»Was ist denn?«
»Darf ich das machen?«
»Sicher. Nur – warum?«
Den Grund wollte ich ihr nicht nennen, aber ich hatte gesehen, daß sich unter dem Tuch etwas bewegte. Da hier kein Wind wehte, gab es eigentlich nur eine Erklärung.
Am Rand fing ich einen Blick auf Sukos Gesicht ein. Auch er hatte dieses Rätsel entdeckt, ohne jedoch einen Kommentar zu geben. Er überließ es mir, das Tuch anzulupfen, was ich auch mit einer langsamen Bewegung tat.
Ich sah nicht viel.
Aber ich hörte etwas.
Geräusche, die keinem Gefallen konnten. Ein Knistern oder Knabbern.
So etwas paßte nicht in diese Umgebung hinein. Auch Suko schaute verdutzt, und Dr. Seagram hatte die Geräusche ebenfalls gehört, mit denen sie nicht zurechtkam. Sie wirkte plötzlich nervös, aber sie traute sich nicht, eine Frage zu stellen.
Ich lupfte das Tuch weiter an und bewegte auch den Körper nach unten.
An der anderen Seite folgte Suko meinem Beispiel. Unsere Gesichter waren sehr konzentriert. In den folgenden Sekunden würden wir etwas Unwahrscheinliches erleben.
Das Knacken und Knistern hörte nicht auf. Auch ein Schaben und leises Rascheln.
Ich zerrte das Tuch hoch. Dabei war ich auch darauf gefaßt, zurückzuspringen.
Und dann sah ich es!
Der Tote lag noch da.
Aber nicht nur er, denn er hatte Gesellschaft bekommen. Zahlreiche Käfer waren dabei, ihn aufzufressen.
*
Shao kam sich vor, als wäre ihre rechte Handfläche mit einem Ölfilm bestrichen worden. Sie hatte Mühe, den Hammer festzuhalten und krampfte die Finger fest um den Griff. Sie wagte nicht einmal, richtig Luft zu holen, denn dieser verfluchte Käfer war dermaßen gewachsen, daß sie der Frost der Furcht durchlief.
Mindestens um das Dreifache war er gewachsen und zu einem regelrechten Käfer-Koloß geworden. Er war einfach grauenvoll. Der Körper zeigte sich gestreckt und zugleich aufgeblasen, und die beiden Zangen waren in diesem Verhältnis mitgewachsen.
So etwas hatte sie noch nie erlebt. Sie fragte auch nicht nach Erklärungen.
Ihr ging es einzig und allein darum, mit dem Käfer fertig zu werden, denn sie war realistisch genug, um sich zu sagen, daß dieses Wachstum noch nicht beendet war.
Als sie den dumpfen Laut hörte, schrak sie zusammen. Der Hammer war ihr tatsächlich aus der Hand gerutscht und zu Boden gefallen. Sie rieb die Fläche trocken, stöhnte leise auf und schüttelte abermals den Kopf, weil sie die Dinge nicht begreifen konnte.
Dann nahm sie ihr Werkzeug oder die Waffe wieder auf. Der Hammer war schwer genug, um auch den größeren Käfer zertrümmern zu können. Dazu mußte sie aber erst einmal nahe an ihn heran. Shao konnte sich auch vorstellen, daß der Käfer schlau genug war, um zu bemerken, was sie vorhatte. Dementsprechend würde er reagieren.
Einer wie er war in der Lage, sich zu wehren, und zwar so hart, daß es auch für einen Menschen gefährlich werden konnte.
Über die Gründe und den Sinn des Wachstums dachte die Chinesin nicht nach. Sie ging weiter und konzentrierte sich auf dieses
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