John Wells Bd. 1 - Kurier des Todes
etwas fragen? Wie war es?«
»Was?«
»Die Sache vor zwei Monaten. Der 11. September.«
»Der 11. September?«, gab Holmes kopfschüttelnd zurück, als würde er den Tag nochmals in seinen Gedanken ablaufen lassen. »Als hätte man dem ganzen Land einen gewaltigen Schlag in die Magengrube versetzt. Die Leute saßen zu Hause und starrten auf den Fernsehapparat. Wieder und wieder sahen sie zu, wie die Türme in sich zusammenstürzten … wie das zweite Flugzeug in den Turm krachte … Es war unglaublich. Ich meine, ich konnte es wirklich nicht fassen. Wäre Tom Brokaw auf dem Bildschirm erschienen und hätte gesagt: ›Hey, Amerika, das war alles nur ein Scherz!‹, dann hätte ich wohl gesagt: ›Okay, lass gut sein.‹ Auf jeden Fall hätte das mehr Sinn ergeben als das, was wirklich geschah. «
»Diese Kerle sind zu allem bereit.« Wells wusste, dass dies keine besonders tiefsinnige Bemerkung war, aber plötzlich war er nur noch hundemüde.
»Vor zwei Jahren ist meine Mutter gestorben«, fuhr Holmes fort. »Krebs. Einfach grauenvoll. Das war der schlimmste Tag meines Lebens. Der 11. September war der zweitschlimmste. Und so haben alle empfunden. Einige Männer der Delta Force fuhren nach New York, um die Leute auszugraben. Aber mich kümmerte das nicht. Ich wusste, dass man uns in der Basis brauchte.«
Holmes warf Wells einen Blick zu. »Sind Sie in Ordnung, John? Vielleicht sollte Freddy Sie untersuchen?«
»Ich bin nur völlig erschlagen, das ist alles«, gab Wells zurück.
»Außerdem sollte ich jetzt gehen.« Bei diesen Worten erhob er sich und sah in die Ebene hinunter. »Die Frontlinie wird nicht mehr lange halten.«
»Ihre Männer werden nicht einmal eine Woche überstehen«, sagte Holmes.
»Meine Männer.« Wieder fühlte Wells diesen seltsamen Schwindel.
»Ich wollte Sie nicht beleidigen.«
»Kein Problem«, antwortete Wells.
»Hören Sie zu«, fuhr Holmes fort. »Rufen Sie mich doch an, wenn Sie wieder in der Heimat sind. Sie finden mich unter dem Namen meiner Frau – Debbie Turner, Siler City, North Carolina. Ich nehme Sie dann mit zum Fischen. Es ist wirklich ein wunderschönes Land.«
»Fast so schön wie Montana.«
»Sobald Sie wieder in der Heimat sind.«
»Das könnte noch eine Weile dauern«, erwiderte Wells, während er sich endgültig erhob und von Holmes seine Waffen entgegennahm. Messer und Pistole steckte er in die Holster, und das Gewehr warf er über die Schulter. Als ihm Holmes die Hand entgegenstreckte, umfasste sie Wells mit beiden Händen.
»Da ist noch eine Sache, Major«, sagte er.
»Ja, Sir?«
»Sie müssen auf mich schießen.«
Misstrauisch trat Holmes einen Schritt zurück.
»In den Arm. Ansonsten sieht es nicht echt aus. Ich kann nicht unverletzt zurückkehren, während alle meine Männer tot sind.«
»Auf keinen Fall«, wehrte Holmes ab.
»Major, dann muss ich es selbst tun.«
»Gütiger Gott.«
»Es geht nur um eine Fleischwunde. Ein einfacher Durchschuss, ohne Knochen.«
Nach kurzem Zögern nickte Holmes. »In Ordnung. Dann sollten Sie sich jetzt umdrehen und losmarschieren.«
»Losmarschieren?«
»Immerhin bin ich bei der Delta Force, Agent Wells«, erklärte Holmes und fügte dann in breitestem Dialekt von Carolina hinzu: »Einem Opossum kann ich noch auf einhundert Schritte den Schwanz wegschießen. Welcher Arm soll es sein?«
»Lieber der linke«, antwortete Wells. Damit drehte er sich um und ging langsam davon, wobei er seinen linken Arm von sich streckte. Einige Sekunden später fiel der Schuss. Das Projektil durchschlug die Haut und die Muskeln seines linken Bizeps, als hätte man ihn mit einer glühenden Stricknadel durchbohrt. »Cosumaq«, fluchte Wells auf Arabisch, während das Blut aus der Wunde sprudelte und er sich auf die Erde niederließ – bei der Fotze deiner Mutter. Ein Blick zu Holmes zurück zeigte ihm, dass dieser immer noch – für alle Fälle – die Pistole fest in der Hand hielt.
»Guter Schuss, Major«, rief er. Damit hatte er recht. Die Wunde war sauber und ordentlich.
»Wollen Sie noch einen?«
Wells lachte erst verhalten, dann immer heftiger, bis er nach Atem rang, während ihm das Blut über den Arm hinunterlief. Vermutlich hielt ihn Holmes für verrückt. Aber Wells konnte nicht anders. Immerhin kamen die Taliban nie auf die Idee, solche Scherze zu machen.
»Einer genügt«, sagte er schließlich, sobald das Lachen verebbte und er wieder zu Atem kam.
»Sollen wir Sie verbinden?«
»Das mache ich besser
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