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John Wells Bd. 3 - Stille des Todes

John Wells Bd. 3 - Stille des Todes

Titel: John Wells Bd. 3 - Stille des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Berenson
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graue Wolken vor die Sonne. Seit dem Morgen waren die Temperaturen gesunken, die ersten Vorboten des langen sibirischen Winters. Nepetrow trug eine Mütze und lederne Fahrerhandschuhe. Die Heizung schaltete er nur ungern ein, weil ihn die Kälte wachhielt. Er vergaß das Mädchen mit dem Eimer und stimmte ein neues Lied an. »Auf der Wolga, Mütterchen Wolga, über den weiten Wassern erhebt sich ein Sturm, ein mächtiger Sturm …«
    Die Straße war immer noch frei, abgesehen von einem entgegenkommenden großen Traktor, der eine Ladung Ziegel hinter sich herzog. Nepetrow schaltete hoch und berührte leicht das Gaspedal. Zufrieden beobachtete er, wie die Tachonadel auf hundertzwanzig Stundenkilometer kletterte. »Nichts ist auf den Wogen zu sehen, nur ein schwarzes Boot.«
     
    Schamir packte das Lenkrad des Traktors und beobachtete, wie der mächtige Tanklastzug auf ihn zurollte. Selbst der Wind konnte das Brennen in seinen Knochen nicht lindern. An jedem Schlagloch gruben sich die Klauen tiefer in seinen Körper.
    Was auch immer geschah, er würde den Schmerz nun hinter sich lassen.
    Fünf … Der riesige Lastzug war noch etwa dreihundert Meter entfernt und fuhr mit hoher Geschwindigkeit. Schamir lenkte den Traktor in Richtung Straßenmitte, die der Tanklaster gepachtet zu haben schien.
    »Die Zeit ist gekommen, Vater«, hatte der Araber wenige Minuten zuvor zu ihm gesagt, nachdem ein Anruf auf
seinem Mobiltelefon eingegangen war. »Wir werden mit dir sein. Unsere Augen richten sich auf dich.«
    Vier … Der Tanklaster hätte auf seine eigene Spur einschwenken können, um Schamir Platz zu lassen. Stattdessen steuerte er direkt auf Schamir zu, bedrängte ihn, um ihn an den Straßenrand zu zwingen. Die Lufthupe stieß einen langgezogenen Heulton aus.
    Drei … Schamir zog den Traktor leicht nach rechts, als wollte er dem Lastzug ausweichen. Die Hupe heulte erneut.
    Zwei … »Allahu akbar.« Gott ist groß. Schamirs zerfressener Kehlkopf brachte nur ein Flüstern zustande.
    Eins … Er riss das Lenkrad nach links.
     
    »Nur ein schwarzes Boot … Nein! «
    Ohne Vorwarnung versperrte der Traktor die Straße vor ihm. Nepetrow saß in der Falle. Wenn er das Steuer nach links drehte, würde er in die Bäume schlittern. Wenn er auf die Bremse trat, würde der Tankanhänger ausbrechen. Er entschied sich dafür, gar nichts zu tun. Falls sein Lastzug den Traktor zertrümmerte, überlebte er vielleicht …
    Schamir war sofort tot. Nepetrow hatte weniger Glück. Durch den Aufprall wurde die Fahrerkabine vom Tankanhänger gerissen. Sie schoss vorwärts, und einen verzweifelten Augenblick lang sah Nepetrow durch die Windschutzscheibe den Asphalt immer näher kommen. Dann kippte die Kabine zur Seite, holperte über die Straße und brach auseinander. Sie rutschte etwa fünfundzwanzig Meter weit und hinterließ dabei eine Spur aus Metall, Glas und Kühlmittel, bis sie endgültig zum Stillstand kam.
    Der Tankanhänger hinter ihm schlitterte weiter, schleifte
mit dem Unterboden über den Asphalt, dass die Funken sprühten, bis er schließlich gegen die Rückseite der Fahrerkabine prallte und aufgehalten wurde. Für einen Moment lagen die beiden Bestandteile des Tanklastzugs nebeneinander wie die Karikatur des Fahrzeugs, das sie einst gewesen waren.
    In der Fahrerkabine versuchte Nepetrow, sich zu orientieren. Er lebte noch, obwohl er keine Ahnung hatte, wieso. Der Sicherheitsgurt hatte ihm wohl das Leben gerettet. Dieser Bauer mit seinem Traktor musste den Verstand verloren haben. Warum war er nicht ausgewichen? Egal. Irgendwie musste er hier raus. Er wollte nach dem Gurt greifen, aber seine Arme gehorchten ihm nicht. Bei genauerem Hinsehen stellte er fest, dass an seinem rechten Handgelenk ein Knochen durch die Haut stach. Schmerzen spürte er allerdings keine, es störte ihn gar nicht. Was war mit seinen Beinen? Er versuchte, sich auf seinem Sitz zu bewegen, aber es war aussichtslos. Er saß in einem Käfig, wie ein Huhn auf dem Weg zum Schlachthof.
    Ein Schlag erschütterte die Kabine, die durch den Aufprall des Tankanhängers einen Satz nach vorn tat.
    »Nein«, flüsterte Nepetrow.
    Der Tankanhänger besaß weder eine automatische Brandschutzvorrichtung noch die anderen Sicherheitssysteme, die in Westeuropa und den Vereinigten Staaten Vorschrift waren. Er war ein Molotowcocktail auf sechzehn Rädern. Und er stand in Flammen.
    Während er in seinem Sitz hing, Blut hustete und auf das Unvermeidliche wartete, stimmte Nepetrow ein

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