John Wells Bd. 3 - Stille des Todes
Wort.«
»Aber …« Grigorij zögerte. »Willst du das jetzt gleich besprechen?«
»Warum nicht?«
»Ich will dich nicht enttäuschen« - Grigorij warf einen Blick auf das Messer - »aber die Sache ist nicht so einfach, wie du dir das vorstellst. Wir haben die Sicherheitsvorkehrungen verschärft und auf das amerikanische System umgestellt. Niemand geht allein ins Lager. Nie. Es sind immer zwei Mann, die von einem dritten über eine Kamera beobachtet werden. Und man braucht einen Grund, um die Räume zu betreten.«
Jussuf sammelte die Überreste der Orange ein, warf sie in die Spüle und setzte sich Grigorij gegenüber. »Auch du? Dein Cousin sagt, du hast eine leitende Position.«
»So gut ist die nicht, sonst würde ich nicht hier wohnen. Außerdem hat noch nicht einmal der Präsident ohne Begleitung Zutritt zum Depot.«
»Depot?«
»So nennen wir die Lagerräume, in denen die Waffen aufbewahrt werden.«
»Hast du immer dieselbe Person dabei? Jemanden, mit dem ich reden könnte?«
»Um die Sicherheit zu erhöhen, werden die Partner
nach dem Zufallsprinzip ausgewählt. Und …« Wieder zögerte Grigorij. Er konnte sich nicht erinnern, jemals solche Angst vor einem Menschen gehabt zu haben wie vor diesem Mann.
»Ja?«, sagte Jussuf.
»Ich arbeite mittlerweile nachts. Genau wie Tajid. Ich prüfe die Arbeit, die tagsüber erledigt worden ist. Das ist Papierkram. Das Werk ist praktisch geschlossen. Es gibt keinen Grund, sich in den Depots aufzuhalten. Die Wachen kontrollieren sie zu Beginn und am Ende jeder Schicht. Ansonsten geht keiner dorthin. Wir sind der Ansicht, je weniger Leute die Räume betreten, desto besser.«
»Aber du hättest Zutritt. Wenn du einen Grund hättest.«
»Vielleicht. Aber ich würde unter Beobachtung stehen.«
Jussuf schälte mit lässigen Bewegungen die zweite Orange. »Es muss einen anderen Weg geben.«
Tajid hüstelte. »Was ist mit den Konvois, Cousin? Du hast doch gesagt …«
»Ich weiß, was ich gesagt habe. Aber die Konvois kommen nie nachts.«
»Und wenn doch?« Jussuf ließ eine Orangenspalte in seinem Mund verschwinden.
»Ich dachte, du magst keine Orangen.«
»Jeder mag Orangen. Vor allem bei dieser ekligen Kälte.« Der Teufel hat gewonnen, und jetzt amüsiert er sich über seine eigenen Scherze, dachte Grigorij. »Wenn ein Konvoi eintrifft und wir Gefechtsköpfe in die Depots schaffen oder herausholen müssen, gelten theoretisch dieselben Regeln«, sagte er. »Wir müssen immer zu zweit sein. Aber manchmal reißt Schlamperei ein. Die Partner werden nicht immer nach dem Zufallsprinzip ausgewählt. Die
Konvoi-Kommandanten wollen das Material abliefern und so schnell wie möglich wieder weg.«
»Wenn also ein Konvoi Verspätung hätte, wärst du für die Annahme zuständig?«
»Das ist nicht meine Aufgabe. Aber der Zuständige ist ein Säufer, der die ganze Nacht schläft.«
»Also würdest du ihn in Empfang nehmen. Und du könntest deinen Partner selbst aussuchen.«
Grigorij trank seinen Wodka aus und goss sich noch ein Glas ein. »Aber das spielt alles keine Rolle. Die Konvois treffen immer tagsüber ein. Immer.«
»Fahren die Konvois eigentlich immer dieselbe Route?«
»Theoretisch nicht, aus Sicherheitsgründen, aber in der Praxis doch. Im Winter gibt es im Grunde nur eine Straße, die sie benutzen können.«
»Und du weißt, wann sie ankommen sollen?«
»Das müssen wir aus Produktionsgründen wissen. Aber du hast doch wohl nicht vor, einen Konvoi anzugreifen, oder? Das ist unmöglich. Dafür bräuchte man Hunderte von Männern.«
»Nein, ich will ihn nur aufhalten.«
»Aber wie?«
»Überlass das mir.«
»In diesem Fall … Wenn es dir gelingt …« Grigorij ließ die Szene im Geiste ablaufen. »Garantieren kann ich nichts. Kommt drauf an, wie viel Glück ich habe. Aber möglich ist es.«
»Kannst du bis morgen herausfinden, für welche Termine die nächsten Konvois geplant sind, und mir ihre Route zeigen?«
»Kann ich.«
»Dann bis morgen.« Jussuf hängte sich die Tasche über
die Schulter und erhob sich. Tajid folgte seinem Beispiel. Als sie gegangen waren, blieb Grigorij am Küchentisch sitzen. Der Geruch der Orangen hing in der Luft, und er wusste, dass er die Frucht für den Rest seines - wohl nicht mehr allzu langen - Lebens nicht mehr würde essen können.
Er holte unter der Spüle einen Lappen hervor und fuhr damit energisch über den Küchentisch, um den süßlichen Orangengeruch loszuwerden, der die Küche erfüllte. Was tat er da?
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