JoJo Und Ich
lief wieder alles glatt, aber am Nachmittag ging gar nichts. Alles schien so weit in Ordnung, aber er ließ nicht zu, dass ich ihm den Mund öffnete. Immerhin war es inzwischen wohl so, dass er nicht mehr mich, sondern die Umstände für die Unannehmlichkeiten verantwortlich machte. Und irgendwie wusste ich auch, dass er mir nichts tun würde. Er sah ja, dass die Prozedur für uns beide schwierig war. Am späten Nachmittag war dann alles vergeben und vergessen, und ich konnte JoJo seine letzte Tablettendosis verabreichen.
Endlich war die schwierige und unser Durchhaltevermögen strapazierende Aufgabe bewältigt. Ich hatte unsere Beziehung aufs Spiel setzen müssen, und umso schöner war es jetzt zu sehen, wie schnell es mit JoJo aufwärts ging. Schon wenige Tage nach der letzten Gabe des Medikaments begann seine Schwellung zurückzugehen. JoJo kam wieder zu Kräften, er sah besser aus und wurde agiler. Er war sicher noch nicht ganz gesund, aß aber wieder. Zum ersten Mal seit Wochen spielten wir sogar wieder miteinander, und sein Pfeifen und Schnalzen war wieder zu hören. Er spielte mir zu meiner Freude sogar schon wieder kleine Streiche, wenn er mir etwa mit der Schwanzflosse Wasser ins Gesicht spritzte.
Kein Zweifel, JoJo war auf dem Weg der Besserung. Aber ich bemerkte auch Verhaltensänderungen an ihm. Er hielt sich auf sicherer Distanz von Leuten, die ihm nicht vertraut waren, und vermied jeden Kontakt, der ihn – wie in der Zeit, als es ihm so schlecht ging – in eine unsichere Position hätte bringen können. Außerdem rechnete er offenbar mit weiteren Medikamentengaben, denn als ich ihn an diesem Tag rief, blieb er auf der Hut und hielt immer eine Armlänge Abstand. Ich verstand sein Misstrauen und war nur froh, dass er das Mittel genau nach Verordnung bekommen hatte. Zudem gab mir die Verbesserung seines Zustands das sichere Gefühl, dass alles in Ordnung war. Ich hoffte nur, dass sich seine Scheu vor engem Kontakt wieder legen würde. In den kommenden Wochen wollte ich mich ganz der Wiederherstellung seines Vertrauens widmen.
Sollte es jedoch zu einem Rückfall kommen, der weitere Antibiotikagaben erforderlich machte, würde JoJo sicher nicht mehr so leicht zu behandeln sein. Ich wagte gar nicht daran zu denken, wie es sein würde, wenn wir JoJo betäuben oder irgendwie festsetzen mussten, um ihm die Arznei zu geben. Aber unterschätzte ich ihn da nicht? Vertrauen hatte ihm schon einmal das Leben gerettet, warum also sollte es nicht wieder so sein?
Jedenfalls wurde mir klar, wie empfindlich intensive Beziehungen sind, zwischen Liebenden, zwischen Eltern und Kindern, zwischen Freunden und eben auch zwischen einem Menschen und einem Delfin. Manchmal strapazieren wir die Grenzen des Vertrauens. Aber wenn wir die Welt mit den Augen des anderen zu betrachten versuchen und ihn genau dann unterstützen, wenn er es braucht, sind Wunder möglich, Wunder wie das Schwimmen mit einem wild lebenden Großen Tümmler.
Aber JoJo war krank, und deshalb war die Beobachtung seines Zustandes genauso wichtig wie der Aufbau von neuem Vertrauen. Sorgen machten mir die Leute, die sich in dieser Phase an ihn heranmachten. Ich war ständig bemüht, die ganze Welt wissen zu lassen, dass JoJo in Ruhe gelassen werden musste, aber es gab Zeitgenossen, die selbst die aufgestellten Schilder, »Bitte den Delfin nicht anfassen«, einfach ignorierten. Zum Glück kam es jedoch nicht zu Zwischenfällen, vor allem wohl deshalb, weil sich JoJo vom Strand fernhielt. Als er dann zu Kräften kam, näherte er sich den Menschen, die sich in seinem Lebensraum aufhielten, auch wieder vorsichtig an.
JoJo tauchte nicht mehr so zuverlässig auf wie zuvor und hielt auch von mir etwas mehr Abstand als früher. Kam er doch einmal näher, war er sofort wieder weg, sobald irgendetwas an meiner Körperhaltung auf eine weitere Medikamentengabe hinzudeuten schien. Die Erneuerung des Vertrauens würde wohl ihre Zeit brauchen, und es war an JoJo, das Tempo zu bestimmen.
Seine Genesung machte offenbar gute Fortschritte. Der durch den alten Rochenstachel ausgelöste Abszess ging zurück, obgleich der Stachel immer noch im Gewebe sein musste.
»Ich kann mir vorstellen, dass es immer noch wehtut«, sagte ich, nicht zuletzt, um ihn wissen zu lassen, dass ich Mitgefühl für ihn empfand. »Irgendwas müssen wir gegen diesen Stachel unternehmen – aber natürlich gemeinsam.«
Wann immer ich vernehmbar oder auch nur in Gedanken mit ihm sprach, sah er mich an.
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