JoJo Und Ich
aber was bleibt uns anderes übrig? Dean, Sie müssen die Dinge sehen, wie sie sind. Wenn Sie ihn retten möchten, müssen Sie wohl oder übel das Notwendige tun.«
Überzeugt hatte mich Mark noch nicht. Aber es war ganz beruhigend, zumindest diese Möglichkeit zu haben, sollte sich JoJos Zustand als wirklich ernst erweisen.
Ein weiterer Tag verging, bis ich JoJo schließlich in einer äußerst abgelegenen Gegend aufspürte. Er war mittlerweile noch dünner geworden. Sein rapider Gewichtsverlust machte Mark und mir enorme Sorgen. Der Entzündungsherd war so groß und JoJo vielleicht schon so schwach, dass er womöglich an den Strand gespült wurde. Seine Augen hatten etwas Dunkles und waren meist geschlossen. Der Atem aus seinem Blasloch roch nach Aas. Als ich ihn so erlebte, bedurfte es meiner gesamten Willenskraft, ihm heilende, positive Gedanken zu übermitteln.
Aber wie sollte ich ihn mit weißem Licht umgeben können, wenn so viele dunkle Schatten auf meiner Gedankenwelt lagen?
Entscheidungen. Abschiede. Tod.
An diesem Abend, als JoJos Antibiotikum per Luftpost Expressgut ankam, bestieg Emily das Flugzeug, das sie nach Hause bringen würde. Ich hatte kaum Zeit, mir auch nur die Tränen aus den Augen zu wischen, denn es musste jetzt schnellstens geklärt werden, wie wir JoJo das Medikament verabreichen wollten. Am besten wäre es natürlich, er würde das Mittel von sich aus schlucken. Theoretisch bestand auch die Möglichkeit, es in Fischen zu verstecken, die JoJo verabreicht würden. Aber es ging ihm so elend, dass er vermutlich gar nichts mehr zu sich nahm. Die Chancen, ihn mit toten Fischen zu füttern, standen also denkbar schlecht. Und selbst ein gesunder Delfin würde eine solche Kost vermutlich ablehnen. Kurz, aller Wahrscheinlichkeit nach blieb uns keine andere Wahl, als JoJo zu seinem Glück zu zwingen.
Am nächsten Tag rief ich ihn ins flache Wasser vor dem Strand. Meine lieben Freunde Dave und Debbie waren bei mir; sie wussten, welche schwierige Aufgabe mir heute und an den nächsten fünf Tagen bevorstand. Sie hatten die Beziehung zwischen JoJo und mir über die Jahre beobachtet und kannten die Intensität, die sie mittlerweile angenommen hatte. Auch war ihnen bewusst, dass schwierige Entscheidungen anstanden, die sich womöglich langfristig auf unsere Verbundenheit auswirken würden. Gemeinsam wateten wir also ins brusttiefe Wasser. Fast hoffte ich, JoJo würde nicht kommen, dann hätte ich einen weiteren Tag, um mir alles noch einmal genau zu überlegen. Aber in den letzten beiden Tagen war es mit seinem Zustand so steil bergab gegangen, dass mir alle Tierärzte, mit denen ich in Kontakt stand, übereinstimmend geraten hatten, schnellstmöglich zu handeln.
Gelegenheit, die Pläne zu überdenken, bot sich auch gar nicht mehr, denn wenige Minuten später erschien JoJo und stupste mir leicht den Fuß an. Er wirkte sehr schwach und die Schwellung war so groß und dunkel geworden, dass man ein Übergreifen der Infektion auf innere Organe befürchten musste.
Ring und Armbanduhr hatte ich abgelegt, dafür hielt ich fünf in weiche Tintenfischhaut verpackte Kapseln in der Hand. Der entscheidende Augenblick war gekommen. Dass ich ihm dem Mund öffnete und mit der Hand über seine Zunge strich, war für JoJo nichts Ungewöhnliches. Weiter aber hatte ich mich bislang noch nie vorgewagt. Von Joan, die im Meeresaquarium in Miami arbeitete, wusste ich schon seit Langem einiges über den Umgang mit Delfinen und über eventuell notwendige medizinische Behandlungen.
Sie war es auch, die mir geraten hatte, JoJo an das Streicheln seiner Zunge zu gewöhnen – für den Fall, dass ich ihm je etwas gegen seinen Willen einflößen musste. »Auf diese Weise entsteht einfach eine größere Vertrautheit«, hatte sie gesagt. »Und nur so wird JoJo Sie überhaupt weit genug vorlassen, dass Sie ihm ein Medikament verabreichen können.« Obwohl ich nie damit gerechnet hätte, dass dieser Tag je kommen würde, hatte ich Joans Rat befolgt und jetzt war es überhaupt kein Problem, JoJos Zunge zu berühren.
Die meisten Delfintrainer würden es nicht im Traum für möglich halten, dass man so mit einem wild lebenden Delfin umgehen konnte, wie ich es tat – und schon gar nicht, dass er sich anfassen ließ. Einem in Gefangenschaft lebenden Delfin kann man ohne Weiteres beibringen, das Maul zu öffnen; aber bei einem wilden Delfin, und dann auch noch die Zunge berühren – nein, völlig unmöglich. Soweit ich wusste, war es
Weitere Kostenlose Bücher