JoJo Und Ich
Folge. Und sobald es zu juristischen Auseinandersetzungen und Versicherungsansprüchen kam, war natürlich immer JoJo der Beschuldigte.
Man kann sich vorstellen, dass unter den sechshundert Gästen am Strand nicht gerade viele über die Verhaltensweisen eines in küstennahen Gewässern schwimmenden wilden Delfins unterrichtet waren. Die Leute ignorierten einfach die Warnsignale, die JoJo gab, wenn er sich gestört oder gereizt fühlte. Die Töne, die er dann von sich gibt, sowie seine Bewe gungen mahnen in aller Deutlichkeit zur Vorsicht, und wer ihn anschließend trotzdem nicht in Ruhe lässt, muss mit einem Biss, einem Schwanzschlag oder einem unsanften Rempler rechnen. Und das sind noch die milderen Maßnahmen.
Jedenfalls konnte JoJo jedes Hotel, das mit ihm als Maskottchen oder Attraktion warb, in arge Verlegenheit bringen. Einmal verletzte er etwa eine Touristin, nachdem sie einen Finger in sein Blasloch gesteckt hatte. Ich kann mir kaum vorstellen, dass irgendjemand einem Lebewesen bewusst die Atemöffnung verschließt, also ist es ihr vielleicht versehentlich passiert, als sie dem auftauchenden JoJo über den Kopf streichen wollte, und er hat aus einem Reflex heraus darauf reagiert. Aber wer würde schon tatenlos zusehen, wenn man ihm die Atemwege verstopft? JoJo wird es als lebensbedrohenden Angriff aufgefasst haben, und da wir ihn inzwischen ein wenig kennen, können wir uns leicht vorstellen, dass er sehr entschieden protestiert und dann zurückgeschlagen hat.
Wie gesagt, vielleicht war es einfach nur der ahnungslose Versuch eines Hotelgastes, einen Delfin zu tätscheln, den sie für zahm hielt. Warum sie aber später beschloss, den Rechtsweg einzuschlagen und das Hotel zu verklagen? Nun ja, im Gegensatz zu einem Delfin verfügen Hotels über die finanziellen Mittel, einen Schaden zu begleichen.
Das Hotel verkaufte in seinem Souvenirshop ein T-Shirt, auf dem drei Frauen und ein Delfin abgebildet waren. Eine der Frauen streichelte dem Delfin den Kopf, genau da, wo das Blasloch sitzt. Darunter stand: »JoJo, unser Spieldelfin«, gefolgt vom Namen des Hotels. Irgendwer musste nun die Verantwortung für diese unrichtige Darstellung übernehmen. Es war nicht in Ordnung, JoJo als Hausdelfin anzupreisen. Der Prozess regte das Hotel jedenfalls zum Nachdenken über JoJos Vermarktung an und bekam eine Vorbildfunktion für viele andere Fälle.
Es gab dann noch mehr Verfahren, in denen dieses Hotel für JoJos Missetaten verantwortlich gemacht wurde, und die Hotelleitung musste sich über mögliche Lösungen Gedanken machen. Unter anderem wurde ernsthaft erwogen, die Gäste nicht mehr ins Wasser zu lassen, JoJo einzufangen und weit entfernt wieder aussetzen zu lassen, ihn in ein Delfinarium zu geben oder zu erlegen.
Es war nicht zu glauben. Ging es denn nur noch um Profit? Diese Gegend war schon mindestens seit 1974 JoJos Lebensraum. Er ist hier geboren und aufgewachsen und deshalb formal gesehen ein Bewohner des Archipels. Aber Heimatrechte galten offenbar nicht für Delfine. Ebenso wenig schienen Schutz und Erhaltung der Tierwelt zu zählen. Wenn die genannten vier Überlegungen zeigten, was die weitere Erschließung für die Bewohner der Inseln und die Ressourcen des Landes bedeuten würde, dann konnte man den Leuten auf den Turks und Caicos nur raten, keinen Finger mehr zu rühren. Vielleicht konnte man so die Entwicklung noch aufhalten.
Die einfliegenden Menschenmassen wurden mit jedem Tag größer. Als sich die Kunde vom freundlichen Delfin immer weiter verbreitete, strömten die Leute nach Grace Bay und an die Strände, um JoJo zu sehen. Und wenn er kam, stand ich da und machte mir Sorgen, dass sie ihm schaden könnten.
»Bleiben Sie bitte zurück«, musste ich wieder und wieder rufen. »JoJo ist krank und braucht seine Ruhe.« Und ich konnte von Glück sagen, wenn meine Worte bei den Urlaubern, die sich im Wasser tummelten, nicht auf taube Ohren trafen. »Sie dürfen ihn aber gern vom Strand aus beobachten«, fügte ich hinzu.
Die meisten blieben dann im seichten Wasser stehen und sahen zu, wie JoJo weiter draußen seine Kreise zog. Aber leider gab es auch immer wieder einige, die unbedingt zu ihm hin schwimmen mussten. Die ermahnte ich dann einzeln, ihm nicht nachzusetzen und ihn vor allem nicht zu berühren, weil er sich noch nicht wieder ganz von seiner Erkrankung erholt hatte.
Eines Nachmittags machte sich eine Frau immer näher an JoJo heran und wollte ihn unbedingt streicheln, ja sogar auf ihm
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