Jonathan Harkan und das Herz des Lazarus (German Edition)
Pläne mit dir, vielleicht fürchtet er dich. Vielleicht gibt es aber auch einen ganz anderen Grund, den wir nicht kennen.«
»Wenn er sich dir wieder zeigt, dann musst du versuchen, nah genug an ihn heranzukommen. Vielleicht gewinnst du sein Vertrauen und findest heraus, was ihn antreibt«, sagte der Drache.
Seraphina nickte beipflichtend. »Natürlich können wir dich nur darum bitten. Ein Mitglied des Großen Kreises zu sein bedeutet nicht, seinen freien Willen aufzugeben. Es ist deine Entscheidung, ob du diese Aufgabe annimmst oder nicht.«
»Wenn es hilft, meine Eltern zu retten, nehme ich sie an«, sagte Jonathan, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern.
Seraphina lächelte stolz wie eine Mutter.
Jonathan musste noch etwas loswerden, das ihn plagte. »Riot hat behauptet, der Große Kreis stünde kurz vor seiner Vernichtung. Ist das wahr?«
Überrascht sah Seraphina ihn an. »Glaubst du denn, was er sagt?«
»Ich weiß nicht, wem ich noch glauben kann. Ihr beiden seid hier ganz allein.«
Seraphina tauschte ein verschmitztes Lächeln mit dem Drachen.
»Du wirst lernen müssen, deinen Augen zu misstrauen«, sagte Hanley.
»Oft ist die wahre Größe der Dinge unter der Oberfläche zu finden«, fügte Seraphina hinzu und berührte eine Kugel aus weißem Marmor, die in eine Säule neben dem Kamin eingelassen war.
Noch bevor Jonathan fragen konnte, was das alles zu bedeuten hatte, verschwand der Boden unter seinen Füßen und wurde unsichtbar wie frisch geputztes Glas. Ein Abgrund kam darunter zum Vorschein, Hunderte von Metern tief. In seinen Wänden befanden sich Treppen, Türen und Plattformen, Zahnräder, drehende Kolben und allerhand andere mechanische Anordnungen. Wie ein gewaltiges Uhrwerk, in dessen Mitte sich winzige Gestalten bewegten. Menschen waren darunter, aber auch andere Lebewesen, die Jonathan nie zuvor gesehen hatte, mit zwei, vier oder sechs Beinen, haarig und geschuppt, groß und klein. Sie liefen geschäftig umher und waren so in ihre Aufgaben vertieft, dass sie nicht einmal bemerkten, dass sie beobachtet wurden. Jonathan vergaß völlig, dass er eigentlich Höhenangst hatte, und versuchte, so viele Eindrücke wie möglich in sich einzusaugen. Was er hier sah, hatten nur wenige Menschen vor ihm gesehen.
»Das ist … unglaublich!«, staunte er.
Abermals berührte Seraphina die Kugel, und der Boden verwandelte sich wieder in undurchsichtigen Marmor.
»Nun weißt du, dass der Große Kreis weit mehr Gehilfen hat als nur uns beide.«
»Wir haben keine Angst vor Riot und seiner Bande von Schlägern«, fügte Hanley hinzu. »Hätten wir gewusst, welches Spiel er treibt, hätten wir ihn die ganze Macht des Kreises spüren lassen.«
So viel Stärke und Gewissheit lag in den Worten des Drachen, dass Jonathan lächeln musste. Es tat gut zu wissen, dass sie nicht hilflos waren.
Leise Glockenschläge waren in der Ferne zu hören. Seraphina blickte sich um und nickte.
»Ich weiß, dass dein Gepäck noch immer schwer ist, Jonathan, aber die Zeit des Abschieds ist gekommen. Cassius wird deine Fragen beantworten. Jetzt, da du offiziell ein Teil des Kreises bist, darf er frei sprechen. Solange deine Eltern abwesend sind, soll er dein Vormund sein. Er wird dich in deine Heimat begleiten, damit du deine Schulausbildung zu Ende führen kannst.«
»Es ist außerordentlich wichtig, dass du den Schein wahrst«, fügte der Drache hinzu. »Niemand darf wissen, mit welcher Aufgabe du betraut wurdest, am wenigsten die Menschen, die dir nahe sind.«
Seraphina machte ein aufmunterndes Gesicht. »Kopf hoch! Du bist nicht mehr derselbe Junge wie vor deinen Ferien. Du bist jetzt ein Träger des Eyn. Lass dich überraschen, was alles passieren kann.«
Ein Grinsen überflog Jonathans Gesicht. Ja, zumindest würden seine Feinde nicht mehr ganz so leichtes Spiel mit ihm haben, wenn sie ihm mit Prügel drohten. Er ging zu Sir Hanley.
»Auf Wiedersehen.«
»Auf Wiedersehen, Jonathan!«, erwiderte der Drache. »Es war eine große Freude, dich kennenzulernen.«
»Ganz meinerseits«, sagte Jonathan und blickte noch einmal bewundernd zu dem riesigen Ungetüm auf.
»Komm«, sagte Seraphina und führte ihn zur Tür. »Ich begleite dich noch ein Stück.«
* * *
Seite an Seite betraten Jonathan und Seraphina den gläsernen Korridor, der zurück in die Vorhalle führte. Sie sah ihn an.
»Darf ich nun dir noch eine Frage stellen?«
Jonathan zuckte mit den Schultern. »Sicher.«
»Warum hast du bei dem Schwur
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