Jonathan Strange & Mr. Norrell
er sich vor allem mit der Aufgabe beschäftigte, seine zwei Völker aneinander zu binden – und das, Mr. Strange, erreichte er, indem er die Rolle der Elfen bei der Zauberei vorsätzlich übertrieb . Auf diese Weise vergrößerte er die Wertschätzung seiner menschlichen Untertanen für die Elfen, verschaffte seinen Elfenuntertanen eine passende Beschäftigung und brachte beide Völker dazu, sich die Gesellschaft des jeweils anderen zu wünschen.«
»Ja«, sagte Strange nachdenklich. »Ich verstehe.«
»Mir scheint«, fuhr Mr. Norrell fort, »dass auch die größten der Aureatischen Zauberer das Ausmaß falsch kalkuliert haben, in dem Elfen für menschliche Zauberei unerlässlich sind. Denken Sie an Pale. Er hielt seine Elfendiener für so wesentlich für seine Kunst, dass er schrieb, die drei oder vier Elfen, die in seinem Haus lebten, seien sein wertvollster Besitz. Aber mein eigenes Beispiel macht deutlich, dass nahezu alle achtbaren Arten von Zauberei ohne alle Hilfe betrieben werden können. Was habe ich je getan, wozu ich die Hilfe von Elfen gebraucht hätte?«
»Ich verstehe Sie«, sagte Strange, der meinte, bei Mr. Norrells letzter Frage handelte es sich um eine rhetorische. »Und ich muss zugeben, Sir, dass das eine neue Vorstellung für mich ist. Ich habe so etwas noch nie in einem Buch gelesen.«
»Ich auch nicht«, sagte Mr. Norrell. »Natürlich gibt es auch Zauberei, die ohne Elfen gänzlich unmöglich ist. Es wird vorkommen – und ich hoffe inständig, dass es selten sein wird –, dass Sie und ich uns mit diesen schädlichen Geschöpfen werden herumschlagen müssen. Selbstverständlich werden wir die größte Vorsicht walten lassen. Jeder Elf, den wir rufen, hat mit großer Sicherheit schon früher einmal mit englischen Zauberern zu tun gehabt. Er wird es sich nicht nehmen lassen, uns die Namen aller großen Zauberer, denen er gedient hat, und aller Dienste, die er ihnen erwiesen hat, aufzuzählen. Er wird die Gestalt und Bedingungen solcher Händel wesentlich besser kennen als wir. Wir sind – wir werden im Nachteil sein. Ich versichere Ihnen, Mr. Strange, nirgendwo wird der Niedergang der englischen Zauberei besser verstanden als in den Anderen Landen.«
»Dennoch sind gewöhnliche Leute von den Elfen höchst fasziniert«, sagte Strange. »Und wenn Sie sie gelegentlich zur Arbeit heranziehen, wird unsere Kunst vielleicht beliebter. Es gibt noch immer viele Vorurteile gegen den Einsatz von Zauberei im Krieg.«
»Oh ja!«, sagte Mr. Norrell gereizt. »Die Leute glauben, die Elfen wären das A und O der Zauberei. Das Geschick und die Bildung des Zauberers nehmen sie kaum wahr. Nein, Mr. Strange, das ist in meinen Augen kein Argument für den Einsatz von Elfen. Eher im Gegenteil. Vor hundert Jahren leugnete der Magio-Historiker Valentine Munday die Existenz der Anderen Lande. Er meinte, die Männer, die behaupteten, dort gewesen zu sein, seien alle Lügner. Damit hatte er Unrecht, aber ich habe große Sympathie für seine Ansicht und wünschte, mehr Menschen würden sich ihr anschließen. Andererseits«, fuhr Mr. Norrell nachdenklich fort, »ging Munday so weit, die Existenz Amerikas und dann Frankreichs und so weiter zu leugnen. Ich glaube, als er starb, hatte er auch Schottland längst aufgegeben und begann an Carlisle zu zweifeln... Hier ist sein Buch.« 51 Mr. Norrell stand auf und nahm es aus dem Bücherschrank. Aber er reichte es Strange nicht sofort.
Nach einem kurzen Schweigen fragte Strange: »Raten Sie mir, dieses Buch zu lesen?«
»Ja. Ich denke, Sie sollten es lesen«, sagte Mr. Norrell.
Strange wartete, aber Norrell blickte weiterhin auf das Buch in seiner Hand, als hätte er nicht die geringste Ahnung, wie es jetzt weitergehen sollte. »Dann müssen Sie es mir geben, Sir«, sagte Strange sanft.
»Ja, natürlich«, sagte Mr. Norrell. Er ging vorsichtig auf Strange zu und behielt das Buch noch ein paar Augenblicke in der Hand, bevor er es plötzlich hochkippte und in Stranges Hand legte, als wäre es kein Buch, sondern ein kleiner Vogel, der sich an ihn klammerte und ihn keinesfalls loslassen wollte, so dass er gezwungen war, einen Trick anzuwenden, damit er seine Hand verließ. Er konzentrierte sich so sehr auf dieses Manöver, dass er glücklicherweise Strange nicht anblickte, der versuchte, ein Lachen zu unterdrücken.
Mr. Norrell blieb kurz stehen und schaute wehmütig auf sein Buch in der Hand eines anderen Zauberers.
Aber nachdem er sich von einem Buch getrennt hatte,
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