Jonathan Strange & Mr. Norrell
schien der schmerzhafte Teil seiner Prüfung vorüber. Eine halbe Stunde später empfahl er Strange ein anderes Buch, ging und holte es ohne großes Theater. Gegen Mittag deutete er auf Bücher und gestattete ihm, sie selbst zu holen. Am Ende des Tages hatte Mr. Norrell Strange erstaunlich viele Bücher zum Lesen gegeben und gesagt, er erwarte, dass er sie bis zum Ende der Woche gelesen hätte.
Einen ganzen Tag lang miteinander zu sprechen und zu studieren war ein Luxus, den sie sich nicht oft leisten konnten; normalerweise war Mr. Norrell verpflichtet, mehrere Stunden seinen Besuchern zu widmen, ob das nun die eleganten Leute waren, die er noch immer glaubte, hofieren zu müssen, oder Herren aus verschiedenen Ministerien.
Nach zwei Wochen kannte Mr. Norrells Begeisterung für seinen neuen Schüler keine Grenzen mehr. »Man muss ihm nur einmal etwas erklären«, sagte Norrell zu Sir Walter, »und er begreift es sofort. Ich weiß noch gut, wie viele Wochen ich gearbeitet habe, um Pales Hypothesen die Vorahnungen zukünftiger Dinge betreffend zu verstehen, doch Mr. Strange meisterte diese außergewöhnlich schwere Theorie in wenig mehr als vier Stunden.«
Sir Walter lächelte. »Zweifellos. Aber ich glaube, Sie unterschätzen Ihre eigenen Verdienste. Mr. Strange kommt in den Vorteil eines Lehrers, der ihm die schwierigen Dinge erklärt, während Sie keinen Lehrer hatten – Sie ebnen ihm den Weg und machen es ihm leicht.«
»Ja«, sagte Mr. Norrell, »aber als Mr. Strange und ich über die Hypothesen diskutierten, wurde mir klar, dass sie viel weiter gefasst sind, als ich dachte. Es waren seine Fragen, die mir ein neues Verständnis von Dr. Pales Ideen nahe brachten.«
»Nun, Sir«, entgegnete Sir Walter, »ich freue mich, dass Sie einen Freund gefunden haben, dessen Gedanken so sehr mit den Ihren harmonieren – es gibt keinen größeren Trost.«
»So ist es, Sir Walter!«, rief Mr. Norrell. »So ist es.«
Stranges Bewunderung für Mr. Norrell war zurückhaltender. Die langweiligen Gespräche mit Norrell und sein eigenartiges Verhalten strapazierten bisweilen Stranges Nerven; und während Mr. Norrell sich gegenüber Sir Walter lobend über Strange äußerte, beschwerte sich Strange bei Arabella über Norrell.
»Auch jetzt weiß ich noch nicht, was ich von ihm halten soll. Er ist zu ein und derselben Zeit der bemerkenswerteste und der langweiligste Mann unserer Zeit. Zweimal mussten wir heute Morgen unser Gespräch unterbrechen, weil er glaubte , dass er eine Maus im Zimmer hörte – Mäuse kann er überhaupt nicht ausstehen. Zwei Diener, zwei Dienstmädchen und ich haben die Möbel verrückt auf der Suche nach der Maus, während er starr vor Angst neben dem Kamin stand.«
»Hat er eine Katze?«, fragte Arabella. »Er sollte sich eine Katze zulegen.«
»Aber das ist völlig unmöglich. Er hasst Katzen noch mehr als Mäuse. Er hat gesagt, dass er innerhalb einer Stunde von roten Pusteln übersät ist, sollte er das Pech haben, sich gemeinsam mit einer Katze in einem Zimmer aufzuhalten.«
Es war Mr. Norrells aufrichtiger Wunsch, seinen Schüler gründlich auszubilden, aber die Gewohnheiten der Geheimniskrämerei und Verstellung, die er sein ganzes Leben lang kultiviert hatte, waren nur schwer abzulegen. An einem Tag im Dezember, als aus schweren grünlich grauen Wolken große weiche Schneeflocken fielen, saßen beide Zauberer in Norrells Bibliothek. Der langsam herniederschwebende Schnee vor den Fenstern, die Hitze des Feuers und die Wirkung des großen Glases Sherry, das er dummerweise angenommen hatte, als Mr. Norrell es anbot, all das machte Strange schwerfällig und schläfrig. Er stützte den Kopf auf die Hand, und die Augen fielen ihm fast zu.
Mr. Norrell hielt einen Vortrag. »Viele Zauberer«, sagte er und legte die Hände aneinander, »haben versucht, zauberische Kräfte in einem Gegenstand einzuschließen. Das ist kein schwieriger Vorgang, und das Objekt kann sich ein Zauberer frei wählen. Bäume, Schmuckstücke, Bücher, Pistolenkugeln, Hüte, alle diese Dinge wurden schon einmal zu diesem Zweck verwendet.« Mr. Norrell betrachtete stirnrunzelnd seine Fingerspitzen. »Indem er einen Teil seiner Kräfte in dem von ihm gewählten Objekt aufbewahrt, hofft der Zauberer, sich gegen das Schwinden dieser Kräfte zu verwahren, das die unvermeidliche Folge von Krankheit und hohem Alter ist. Ich selbst war schon häufig ernsthaft versucht, das Gleiche zu tun. Meine Fähigkeiten können von einer schweren
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