Jonathan Strange & Mr. Norrell
Strange. Nichts liebe ich mehr, als Zeuge von Zauberei zu werden.«
»Vielleicht«, sagte Strange.
Mr. Lascelles klingelte nach dem Diener. Plötzlich sagte Mr. Norrell: »Ich würde Mr. Strange gern jetzt zaubern sehen – wenn er uns die Ehre einer Vorführung erweisen möchte.«
»Oh«, sagte Strange, »aber ich will nicht...«
»Es wäre mir eine große Ehre«, beharrte Mr. Norrell.
»Nun gut«, sagte Strange, »ich werde Ihnen gern etwas vorführen. Es wird vielleicht ein bisschen unbeholfen wirken, verglichen mit dem, woran Sie gewöhnt sind. Ich bezweifle sehr, Mr. Norrell, dass ich es Ihnen an Eleganz der Ausführung gleichtun kann.«
Mr. Norrell verneigte sich.
Strange schaute sich zwei–, dreimal im Zimmer um auf der Suche nach einer Zauberei, die er vollführen könnte. Sein Blick fiel auf einen Spiegel tief in einer Zimmerecke, wohin niemals ein Lichtstrahl fiel. Er legte Englische Zauberei von Jeremy Tott so auf den Tisch der Bibliothek, dass das Buch deutlich im Spiegel zu sehen war. Ein paar Augenblicke starrte er es an, und nichts passierte. Dann machte er seltsame Gesten: er fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar, fasste sich fest im Nacken und streckte die Schultern wie jemand, der Verspannungen lösen will. Dann lächelte er und blickte höchst zufrieden mit sich drein.
Was merkwürdig war, denn das Buch sah noch genauso aus wie zuvor.
Lascelles und Drawlight, die es gewohnt waren, Mr. Norrells großartige Zaubereien zu sehen – oder davon zu hören –, waren nicht sehr beeindruckt; ja, es war wesentlich weniger, als ein mittelmäßiger Gaukler auf einem Jahrmarkt zu Stande brachte. Lascelles öffnete den Mund – zweifellos, um etwas Bissiges zu sagen –, wurde jedoch von Mr. Norrell daran gehindert, der im Ton tiefster Verwunderung ausrief: »Aber das ist außerordentlich! Das ist wahrhaft... Mein lieber Mr. Strange! Von diesem Zauber habe ich noch nicht einmal gehört. Er steht nicht in Sutton-Grove. Ich versichere Ihnen, mein lieber Sir, er steht nicht in Sutton-Grove.«
Lascelles und Drawlight schauten verwirrt von einem Zauberer zum anderen.
Lascelles ging zum Tisch und starrte das Buch unverwandt an. »Es ist vielleicht ein wenig länger als zuvor«, sagte er.
»Ich glaube nicht«, sagte Drawlight.
»Der Ledereinband ist jetzt hellbraun«, sagte Lascelles. »War er vorhin nicht blau?«
»Nein«, sagte Drawlight. »Er war schon immer hellbraun.«
Mr. Norrell lachte laut heraus; Mr. Norrell, der höchst selten auch nur lächelte, lachte sie aus. »Nein, nein, meine Herren. Sie haben es nicht begriffen. Nein, wirklich nicht. Ach! Mr. Strange, ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr ich mich ... aber die beiden haben nicht begriffen, was Sie getan haben. Nehmen Sie es in die Hand«, sagte er. »Nehmen Sie es in die Hand, Mr. Lascelles.«
Verwirrter als zuvor streckte Lascelles die Hand aus, um das Buch zu nehmen, aber er fasste ins Leere. Es sah nur so aus, als ob das Buch auf dem Tisch läge.
»Er hat das Buch und sein Spiegelbild die Plätze tauschen lassen«, sagte Mr. Norrell. »Das echte Buch ist dort im Spiegel.« Und er ging zu dem Spiegel und spähte mit großem professionellem Interesse hinein. »Aber wie haben Sie das gemacht?«
»Tja, wie habe ich das gemacht?«, murmelte Strange. Er schritt durch den Raum, betrachtete das Spiegelbild des Buches auf dem Tisch aus unterschiedlichen Winkeln wie ein Billardspieler, schloss das eine Auge und dann das andere.
»Können Sie es zurückholen?«, fragte Drawlight.
»Bedauerlicherweise nicht«, sagte Strange. »Um der Wahrheit die Ehre zu geben, ich habe nicht die leiseste Ahnung, was ich gemacht habe. Ich nehme an, Ihnen ergeht es bisweilen ebenso, Sir. Man hat das Gefühl, als würde im Hinterkopf Musik gespielt -man weiß einfach, welches der nächste Ton sein wird.«
»Wirklich bemerkenswert«, sagte Mr. Norrell.
Noch bemerkenswerter war vielleicht, dass Mr. Norrell, der sein ganzes Leben lang Angst davor gehabt hatte, eines Tages einem Rivalen zu begegnen, endlich die Zauberei eines anderen Mannes gesehen hatte und, statt niedergedrückt zu sein, davon begeistert war.
Mr. Norrell und Mr. Strange trennten sich an diesem Nachmittag aufs Herzlichste und trafen sich am nächsten Morgen wieder, ohne dass Mr. Lascelles oder Mr. Drawlight davon wussten. Diese Begegnung endete damit, dass Mr. Norrell Mr. Strange anbot, ihn als Schüler aufzunehmen. Mr. Strange nahm an.
»Ich wünschte nur, er wäre nicht
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