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Jones, Diana Wynne

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Titel: Jones, Diana Wynne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: 03 Der Fluss der Seelen
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vom Strom und hing über der Weide. Unsere Kuh graste die meiste Zeit friedlich mitten in diesem Nebel am Ufer, aber die anderen Leute sagten, der Nebel sei es, der die Seuche herbeigebracht habe. Als mehrere Kühe eingingen, während unsere Kuh nicht einmal husten musste, begann man uns mit immer finstereren Blicken zu bedenken.
    Hern war wütend darüber. Er schalt die Leute engstirnige Narren. Hern glaubt, dass es für alles eine vernünftige Erklärung gibt und dass Flüche, Pech, Geister und Götter als Ursachen überhaupt nicht zählen. »Warum soll es unsere Schuld sein, wenn ihre elenden Kühe eingehen?«, wollte er wissen. »Weil wir den Strom beleidigt haben – also wirklich! Wenn es so wäre – warum bleibt dann ausgerechnet unsere Kuh gesund?«
    Robin versuchte ihn zu besänftigen. »Hern, lieber Bruder, meinst du nicht, das liegt daran, dass die Unvergänglichen uns schützen?«
    Hern begann sie zu beschimpfen und schoss mit solch verächtlicher Miene zum Holzschuppen hinaus, dass Robin in die Spülküche ging und dort weinte – sie weint sehr oft –, während ich am Herd stehen blieb und mich fragte, ob ich auch weinen sollte. Aber ich weine nur selten, darum redete ich lieber mit Entchen. Mit Robin zu sprechen hatte keinen Zweck, und Hern ist immer so vernünftig. Entchen ist noch klein, aber sehr verständig.
    »Hern glaubt nicht an die Unvergänglichen«, sagte Entchen. »Weil es nicht vernünftig wäre, wenn es sie gäbe.«
    »Warum ist er dann nicht dem Heer nachgelaufen?«, entgegnete ich. »Er hat es sein gelassen, weil er es bei den Unvergänglichen geschworen hatte.«
    »Er ist bei uns geblieben, weil er das Heer gesehen hat«, widersprach mein Bruder mir. »Außerdem haben die Unvergänglichen nichts mit Vernunft zu tun.«
    »Glaubst du etwa auch nicht an sie?«, fragte ich. Ich war ehrlich erschrocken. Bei Hern war das etwas anderes, aber Entchen ist noch jünger als ich. Außerdem standen wir direkt vor den Nischen der Unvergänglichen. Sie mussten Entchen gehört haben.
    Entchen wandte sich ihnen zu. »Man glaubt doch nicht an etwas, weil es vernünftig ist«, sagte er. »Außerdem mag ich sie.«
    Beide blickte wir liebevoll unsere drei Unvergänglichen an. Zwei von ihnen sind alt. Sie gehören schon seit Generationen der Familie meines Vaters. Ich weiß noch, wie ich neben dem Feuer in meiner Wiege gelegen und zu ihnen aufgeblickt habe. Hern sagt, dass ich mich daran gar nicht erinnern dürfte, aber das ist eben wieder einmal Hern, wie er leibt und lebt. Ich entsinne mich nämlich sehr gut. Das Gesicht des Jünglings scheint im Herdfeuer zu lächeln, aber bei Tageslicht sind seine Züge kaum zu erkennen. Er ist aus einem rosenfarbenen Stein geschnitten und sehr abgenutzt. Man kann gerade eben sehen, dass er auf einer Flöte spielt, aber das ist auch schon alles. Der Eine ist noch älter. Was er wirklich darstellt, ist kaum noch zu erkennen, aber er ist einen Kopf größer als der Jüngling. Der Stein, aus dem er gehauen wurde, sieht insgesamt sehr dunkel aus und hat nur ein paar glänzende Flecken, aber das ändert sich jedes Jahr, wenn er aus dem Feuer kommt. Die Dame besteht aus hartem, gemasertem Holz. Als mein Vater sie gleich nach Entchens Geburt schnitzte, war sie so hell wie der Hut eines Pfifferlings. Im Laufe der Jahre ist sie aber immer dunkler geworden, und jetzt hat sie eine kastanienbraune Farbe. Ihr Gesicht ist schön und freundlich.
    Entchen lachte. »Sie sind so viel hübscher als Onkel Falks Holzklotz.«
    Ich fiel in sein Lachen ein. In Iglingen haben sie alle so scheußliche Unvergängliche. Die meisten von ihnen sollen den Strom darstellen. Onkel Falk besitzt ein Stück Treibholz, das sein Vater eines Tages in seinem Netz gefunden hatte. Es sieht aus wie ein einbeiniger Mann mit unterschiedlich langen Armen – ihr habt ja sicher selber schon einmal Treibholz gesehen –, und er lässt es niemals aus den Augen. Er hat es sogar mit in den Krieg genommen.
    An eins erinnere ich mich besonders deutlich. Es war Anfang des Jahres, kurz nach dem kürzesten Tag, und es fror in dieser Nacht sehr stark. Während des ganzen Winters fror es nur in dieser einen Nacht. Mir war kalt. Mitten in der Nacht wachte ich durchgefroren aus einem Traum auf. Im Schlaf hatte ich meinen Vater gesehen, der weit weg stand und mir etwas sagen wollte. »Wach auf, Tanaqui«, sprach er mich an, »und hör mir gut zu.« Doch mehr konnte er nicht sagen, denn da wachte ich schon auf. Stunden vergingen,

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