Jones, Susanna
und zu klappte. Ich wusste, dass ich störte - Lucy hätte jeden, der sich so aufführte, mit Blicken ermordet -, aber ich konnte mich nicht beherrschen.
Eines Tages sagte Natsuko zu mir: «Ich glaube, du magst Musik.»
«Ich glaube, jeder mag Musik. Aber ich war mitten dabei, etwas auf dem Cello einzuüben, und jetzt kann ich nicht mehr spielen.»
Natsuko erzählte mir von Frau Yamamoto, ihrer alten Kalligraphielehrerin, die Geige spielte und mit ein paar Freundinnen musizierte. Frau Ide spielte die zweite Geige und Frau Katoh Bratsche. Sie spielten schon seit mehreren Jahren zusammen, aber ihre frühere Cellistin war an einem Gehirntumor gestorben. Sie gaben keine Konzerte. Natsuko sagte, dass sie gut waren, aber nicht so brillant, dass sie einschüchternd gewirkt hätten. Anfangs hatte ich meine Zweifel, ob sie mich überhaupt dabeihaben wollten. Ich bin wenigstens zwanzig Jahre jünger als die Jüngste, Frau Ide. Mein gesprochenes Japanisch war damals noch nicht überwältigend. Ich konnte die Werke Mishimas und Tanizakis mühelos übersetzen, hatte aber manchmal Probleme damit, auf dem Postamt eine Briefmarke zu kaufen. Und natürlich befürchtete ich, dass ich nie ein vollwertiger Ersatz für meine Vorgängerin sein würde. Sie sagten Natsuko, dass es sie freuen würde, wieder eine Cellistin in der Gruppe zu haben. Ich erklärte Natsuko, dass es mir ziemlich umständlich erschien, einmal die Woche ein Cello quer durch Tokio zu transportieren. Frau Yamamoto ließ mir von Natsuko ausrichten, ich könne das Cello in ihrem Gästezimmer stehen lassen.
Ich schleppte das Cello zum Bahnhof und fuhr mit der Yamanote-Linie von Gotanda nach Nippori. Ich betrat einen älteren, ruhigeren Teil Tokios. Hier gab es kleine wackelige Häuser, ein paar alte Holzgebäude, stoische Überlebende des großen Erdbebens von Kanto und der Brandbomben des Zweiten Weltkrieges. Ich machte Zwischenstation auf dem Yanaka-Friedhof, um in meinen Stadtplan zu schauen und mich kurz zu verschnaufen.
Es ist ein schöner Friedhof, ein herzerfrischender, zum Singen anregender Ort. Ich fing an, «When the Saints Go Marching In» zu summen. Nach allen Seiten erstreckten sich Gräber, graue geometrische Gebilde, durch schmale Wege in Reihen gegliedert. Es gab Obelisken, steinerne Laternen, schmale Stelen. Kirschbäume und vereinzelte Kiefern säumten die Wege. Manche Grabstellen waren geradezu geräumig, wenn man bedenkt, wie wenig Platz in manchen Bezirken von Tokio den Lebenden zugestanden wird. Es gab erhöht gebaute Grabmäler mit kunstvoller steinerner Umfassung und ein, zwei Stufen, die zum Eingang hinaufführten. Ich fand eines, das mir besonders gefiel, lehnte das Cello gegen eine Steinlaterne und setzte mich auf die Stufe. Es berührte mich zu sehen, dass irgendeine pietätvolle Seele zwei hübsche Vasen mit violetten und weißen Orchideen vor die hohe Stele gestellt hatte. Ich versuchte, die Namenszeichen des Verstorbenen zu entziffern, aber sie waren für meine Japanischkenntnisse zu kompliziert. Ich sah mich um. In der Ferne konnte ich ein, zwei vereinzelte Gestalten ausmachen. Ich überlegte mir, wie schön es sein müsste, hier begraben zu sein - so still und doch gleichzeitig so organisch in die Stadt integriert - und meine Gebeine und meine Asche in der Obhut dieser freundlichen Menschen zu wissen.
Natsuko hatte mir einmal von der Einäscherung ihres Großvaters erzählt. Sein Leichnam wurde wie eine Pizza auf einem Tablett in den Ofen geschoben. Als er abzüglich des Fleisches wieder herauskam, wurden seine Knochen auseinander genommen und den Verwandten vorgelegt. Die Trauergäste nahmen ihre langen Essstäbchen und legten damit die Knochen in zwei Urnen, eine für den Tempel und eine für die Erde. Großvaters außergewöhnlichster Knochen war sein nodobotoke, sein Adamsapfel. Da er buddhaförmig war, musste er in die kleinere Urne und in seinem Tempel aufbewahrt werden. Am Ende wurden die übrig gebliebenen Knochenkrümel und Aschereste von einem Angestellten des Krematoriums mit einer kleinen Kehrschaufel und einem Handfeger ohne viel Umstände zusammengekehrt. Das war der Teil der Zeremonie, der Natsuko mitgenommen hatte. Ihr Großvater in einer Kehrschaufel.
Lucy hätte nichts dagegen, eingeäschert und von ihren Freunden auseinander genommen zu werden, aber es würde ihr nicht gefallen, wenn man ihre Überreste in einer Urne einsperrte. Lieber wäre es ihr, direkt in die Erde zu kommen, ohne Sarg, ohne Leichensack, um in
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