Jones, Susanna
Bewusstsein. Ich hefte meine Augen fest auf seine. Sein Gesicht nimmt Farbe an, und er kramt nach einer Frage, mit der er das Schweigen unterbrechen könnte und die ich nicht beantworten werde.
Kameyama spricht. «Schön. Versuchen wir es mit einer anderen Frage.»
Ja, versuchen wir's ruhig. Mit welcher wollen wir es probieren? Was ist meine Lieblingsfarbe? Ich hab keine. Mag ich Katzen oder Hunde lieber? Katzen natürlich; ich bin Löwe. Wie viele Geschwister habe ich? Hängt davon ab, wie man zählt, wen man zählt. Habe ich je einen Menschen getötet? Ja, hab ich. Da gab's Noah. Und wo wir schon vom Tod reden, wäre es jetzt vielleicht ein guter Zeitpunkt, um der wunderbaren Frau Yamamoto zu gedenken, meiner Tage mit dem magischen Streichquartett, das während meiner ersten Zeit in Tokio eine so wichtige Rolle spielte, Frau Yamamoto, die gestorben ist.
«Haben Sie irgendwelche Hobbys?» Oguchi errötet, als er mir diese dürftige Frage stellt. Kameyama stößt Luft durch den Mund aus, ein Mittelding zwischen einem Seufzer und einem Fauchen.
«Nein, keine.»
Und ich ziehe mich wieder in meinen Kopf zurück. Aber sein Timing ist perfekt. Es war gerade die Suche nach einem Hobby, was mich zu Frau Yamamoto führte. Seit ich Teiji kannte, brauchte ich keine Hobbys mehr. Es wäre Unsinn gewesen, das Blumenstecken zu üben, wenn ich stattdessen mit ihm schlafen oder ihn über ein Buch hinweg dabei beobachten konnte, wie er Nudeln servierte. Aber als ich nach Japan kam, kannte ich keine Menschenseele. Ich war froh, über ein gemeinsam kultiviertes Interesse mit Menschen in Kontakt zu kommen. Es war meine Teilnahme an Frau Yamamotos musikalischen Sonntagen, was mich in Tokio willkommen hieß, mir die Gewissheit verschaffte, dass ich hier zu Hause war - womit ich allerdings zuletzt auch eine weitere Leiche am Hals hatte. Tollpatschige alte Lucy.
Von meinem Hobby erzählte ich Teiji in derselben Nacht, in der ich ihm von meiner Kindheit berichtete - von Lizzie, Noah und dem Stein von Rosette während er wie ein Säugling schlief. Ich hielt ihn fest und fuhr mit meiner Geschichte fort, da sie sich als beruhigendes Wiegenlied erwiesen hatte. Noch wollte ich ihn nicht aufwecken, nicht, solange er so zerbrechlich in meinen Armen lag. Ich habe noch nie ein echtes Baby gewiegt, aber in dieser Nacht konnte ich mir vorstellen, was für ein Gefühl das sein könnte. Eine Beruhigung des Herzschlags, eine Wärme, von der ich wusste, dass sie noch lange, nachdem er aufgewacht und gegangen wäre, in meinen Armen zurückbleiben würde. Ich behielt ihn bei mir, wiegte ihn und erzählte ihm noch ein kleines bisschen mehr, die Zwischentexte, die Abenteuer, die ich in Tokio erlebt hatte, bevor ich ihn neben der Pfütze in Shinjuku entdeckte.
Nicht lange nach meiner Ankunft in Tokio bekam ich ein gebrauchtes Cello geschenkt. Ich hatte einer Oberschülerin, der ich Privatstunden gab, beiläufig von meiner cellistischen Vergangenheit erzählt. Zwei Wochen später verehrte mir die Mutter des Mädchens ihr altes Cello mit den Worten, es nehme bei ihr ohnehin zu viel Platz weg. Ich war gerührt, aber auch ein bisschen besorgt. Ich hatte seit Jahren nicht mehr gespielt, und ich empfand es als eine gewisse Verpflichtung, plötzlich ein eigenes Cello zu besitzen. Ein paar Wochen lang spielte ich bei mir zu Haus, geriet darüber aber in einen erbitterten Konflikt mit meiner banausischen Nachbarin. Hätte sie sich schlicht beschwert, wäre es einfach gewesen: Ich hätte sie ignoriert und weitergespielt. Leider entschied sie sich für eine weniger erwachsene Reaktion. Jedes Mal, wenn ich zu üben begann, schaltete sie ihren Staubsauger ein. Sie riss Fenster und Türen auf und übertönte die Stimme meines Cellos. Ich kann nur annehmen, dass sie wütend war, weil der infernalische Lärm meines Instruments sie des Genusses beraubte, die Autoreifen auf dem Asphalt unter ihrem Fenster kreischen zu hören. Ich gab es auf.
Aber die Musik hatte sich in meinem Kopf festgesetzt und wollte nicht wieder verstummen. Ich summte während der Arbeit die Stücke, die ich vor langer Zeit in der Schule gespielt hatte. Ich konnte mich noch an jeden einzelnen Ton erinnern, allerdings nicht an die Melodien, nur an den Cellopart. Vermutlich klang es nicht gerade überwältigend. Meine nichtjapanischen Kollegen beschwerten sich und warfen mir böse Blicke zu, während ich an meinem Schreibtisch summte und pfiff und im Takt meines Continuos den Deckel des Kopierers auf
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