Jordan, Penny
Naomi eher gnadenhalber und nicht aus eigenem Recht bei dem Stamm geduldet wurden.
Sie lernte, den Schmerz über die Art und Weise, wie sie ausgeschlossen blieb, mit Stolz und Gleichgültigkeit zu überspielen. Sie war nicht beliebt bei den anderen Kindern und wusste es. Das machte sie noch zurückhaltender und abweisender. Nur Naomi liebte sie und stand zwischen ihr und der Feindseligkeit der anderen.
5. KAPITEL
J a, ich habe gelernt, was es bedeutet, eine Ausgestoßene zu sein, überlegte Pepper kläglich.
Beinahe von dem Augenblick, als sie die ersten Schritte tun konnte, war sie von den anderen Romakindern gemieden worden. Allerdings hatte sie durch deren Grausamkeit zwei wertvolle Lektionen gelernt.
Erstens konnte sie inzwischen ihren Schmerz verbergen. Als Kind war sie so empfindlich gewesen, dass sie von der Verachtung und der Missbilligung der anderen innerlich zerrissen wurde. Sie hatte gemerkt, dass die Kinder sie nicht mochten, aber sie hatte nicht gewusst, weshalb. Deshalb hatte sie gelernt, ihre Gefühle nicht zu zeigen.
Als zweite Lektion hatte sie gelernt, sich nie anmerken zu lassen, dass sie verletzlich war.
Während ihrer gesamten Kindheit war Pepper mit dem Stamm auf dessen jährlicher Nomadenfahrt durch das Land gezogen. Eine normale Schulausbildung für Zigeunerkinder gab es zu jener Zeit bestenfalls vereinzelt. Selbst die eifrigsten Schulinspektoren hatten nicht die Zeit, regelmäßig die umherziehenden Stämme nach Kindern zu überprüfen. Aber Naomi hatte von ihrem Ehemann lesen und schreiben gelernt, und sie war stolz auf ihr Wissen.
Auch sie sah, was mit ihrer Enkelin geschah. Und obwohl es sie schmerzte, musste sie zugeben, dass die Leute nach den Gesetzen ihres Volkes nicht absichtlich unfreundlich waren.
Gelegentlich dachte sie daran, sich an Sir Ian MacGregor zu wenden, doch sie bezweifelte, dass er Rachel besser aufnehmen würde als ihre eigenen Leute.
In dem Winter, als Rachel sieben Jahre alt wurde, starb Ian MacGregor, und das Land ging an einen sehr entfernten Verwandten.
Seit Duncans Tod hatten die Zigeuner das Tal nicht wieder aufgesucht, denn sie wussten, dass sie dort nicht mehr willkommen waren. Der Verlust des bevorzugten Lagerplatzes wurde Rachel als weiterer Minuspunkt zugeschrieben.
Naomi bestand darauf, dass Rachel schreiben und lesen lernte, und schickte sie zur Schule, sobald der Stamm irgendwo lange genug lagerte.
Da sie wusste, wie stolz die Großmutter auf ihre eigenen Kenntnisse war, erzählte Rachel zu Hause nie, welch ein Fegefeuer die Schule für sie bedeutete. Wie für den eigenen Stamm war sie auch für die englischen Kinder eine Außenseiterin. Sie lachten über ihre Kleider, bezeichneten sie als Lumpen und spotteten über ihren starken Dialekt und die goldenen Ringe, die sie an den Ohren trug. Die älteren Jungen zogen daran, bis ihre Ohrläppchen bluteten, und nannten sie „dreckige Zigeunerin“, während die Mädchen kichernd zusammenhockten und ihre ausgebesserten Pullover und geflickten Röcke betrachteten.
Ohne einen Mann, der sie beschützte und für sie sorgte, mussten Naomi und Rachel sich von dem ernähren, was sie mit Wahrsagen und dem Verkauf von Wäscheklammern verdienen konnten. Gelegentlich klopften Frauen des Stammes nachts an die Tür und baten Naomi um einen besonderen Tee, den sie im Sommer aus wilden Blumen und Kräutern zusammengestellt hatte.
Rachel beobachtete diesen Handel mit großen Augen und fragte sich, was die Frauen spät in der Nacht an die Tür der Großmutter führte. Doch Naomi sagte nur, sie sei noch zu jung, um es zu verstehen.
Das Wissen um die Kräuter, das sie von ihrer Mutter übernommen hatte und das sie an ihre leichtfertige Tochter hatte weitergeben wollen, würde sie nicht mit der Enkelin teilen. Keine Frau des Stammes würde je zu Rachel kommen und sie um Rat oder einen Trunk bitten. Sie selbst war immer noch eine von ihnen und wurde geachtet, auch wenn diese Achtung von Mitleid geprägt war. Bei Rachel war das anders. Sie musste später außerhalb des Stammes leben, und das bereitete Naomi Sorgen.
Sie wurde langsam älter, und ihre Knochen schmerzten, wenn es draußen feucht und kalt war. Sie hoffte, Rachel würde auf der Schule ein wenig auf das Leben bei den „Gorgios“ vorbereitet.
Doch die Schule, auf die Rachel sich zunächst gefreut hatte und wo sie gierig alles in sich aufsog, was die Lehrer ihr beibrachten, wurde bald zu einem verhassten Gefängnis, aus dem sie sooft wie möglich floh
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