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Jordan, Penny

Jordan, Penny

Titel: Jordan, Penny Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Glut in mir
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er fürchtete, dass die Schwestern nicht netter zu ihr waren als ihre Schulkameraden.
    Nach dem Krankenhausaufenthalt veränderte sich Rachels Leben. Gleich nachdem sie nach Hause gekommen war, merkte sie es. Naomi war älter geworden, vor allem aber hatten sich neue Falten in ihrem Gesicht gebildet, die nur von Schmerzen stammen konnten. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte Rachel furchtbare Angst vor dem Alleinsein. Was geschah mit ihr, wenn die Großmutter starb? Bei dem Stamm war sie unerwünscht.
    Würde sie in ein Heim kommen? Rachel wusste über diese Einrichtungen nur, dass man ungehorsamen Zigeunerkindern damit drohte. In ihrer Vorstellung verschmolzen Kinderheime mit Gefängnissen, und sie betrachtete den Aufenthalt dort als eine Art von Strafe.
    Täglich verfiel die Großmutter stärker. Manchmal, wenn sie sich unbemerkt glaubte, sah Rachel, wie Naomi sich über die Außenseite ihrer Brust strich. Sie musste große Schmerzen haben, und sie nahm einen besonderen Mohnsaft zu sich, um nachts schlafen zu können.
    Rachel hatte Angst. Doch sie lernte, wie alles andere diese Angst tief in sich zu verbergen.
    Naomi wusste, dass ihr nur noch wenig Zeit blieb. Sie spürte den Schmerz, der sich in sie hineinfraß, einen nagenden, bitteren Schmerz, der sie von innen verzehrte. Er ging von einem Knoten aus, den sie in ihrer Brust entdeckt hatte. Sie musste sterben. Was würde aus Rachel werden, wenn es so weit war?
    Der Winter kam, und der Stamm war wieder weit im Norden. Diesmal lagerten sie nicht im friedlichen Tal von MacGregor, sondern auf einem Stück Ödland außerhalb einer kleinen Stadt.
    Während die Zigeuner einst eine gewisse Achtung bei den Leuten, wo sie auftauchten, genossen hatten, wurden sie jetzt beinahe ständig wo sie auftauchten verunglimpft. Die Städter nannten sie „dreckige Diebe“, und Rachel merkte mehr denn je, dass die anderen auf sie herabsahen. Noch nie hatte sie sich so anders und so allein gefühlt. Sie hatte niemanden, an den sie sich wenden konnte. Naomi lag im Sterben, aber sie hoffte immer noch eigensinnig, dass die geliebte Großmutter wieder gesund und stark wurde. Sie wollte es einfach nicht wahrhaben, dass Naomi sie bald verlassen würde.
    Stundenlang suchte sie bestimmte Kräuter, denen man magische Heilungskräfte zuschrieb. Sie wählte die besten Stücke Fleisch für sie aus, doch nichts half.
    Im Frühjahr des Jahres, als Rachel fünfzehn wurde, zog der Lee-Stamm erneut zu den Pfingstmärkten. Ann Watts ging immer noch zur Schule, und zwar in die letzte Klasse. Ihr rundlicher Körper war inzwischen unansehnlich fett geworden, und sie betrachtete Rachel boshaft, als diese wieder in der Schule erschien.
    „Aha, die Zigeuner sind zurück“, höhnte sie und machte einen großen Bogen um Rachel. „Mir war doch so, als rieche es hier schlecht.“
    Um dem Gelächter und Gejohle der Schüler zu entgehen, betrat Rachel aufrechten Hauptes den Klassenraum. Sie liebte die Stille dieses Zimmers. Tief im Innern sehnte sie sich verzweifelt nach einer besseren Ausbildung, doch sie hatte die Schule all die Jahre so unregelmäßig besucht, dass sie beinahe nichts gelernt hatte.
    Für die Lehrer war sie einfach eine Zigeunerin, die wieder fort war, bevor sie etwas richtig begriffen hatte. Sie konnte lesen und schreiben und einfache Zahlenkolonnen zusammenrechnen. Mehr hatten manche Schüler auf der Schule, die sie gerade besuchte, nicht einmal beim Abschluss gelernt.
    Sie waren beinahe eine Woche im Tal, als Rachel eines Nachmittags eindringlich fühlte, dass Naomi sie dringend brauchte. Sobald der Unterricht beendet war, lief sie hinaus und nahm die Abkürzung über den Schleppweg am Kanal entlang. Sie rannte den ganzen Weg, war völlig außer Atem und hatte geradezu entsetzliche Angst. Zum ersten Mal in ihrem Leben spürte sie jene Kraft in sich, die die Frauen ihrer Familie so auszeichnete.
    Wie sie befürchtet hatte, war ihre Großmutter dem Tode nahe. Naomi ergriff Rachels Hand. Viele Stunden hatte sie wach gelegen und sich um dieses Kind gesorgt – diesen Wechselbalg, der weder ein Roma noch ein „Gorgio“ war. Sie zog Rachel zu sich und flüsterte ihr ins Ohr, wo die kleine Geldsumme verborgen war, die sie gespart hatte, seit sie von ihrer Krankheit wusste.
    „Du musst von hier fort, Rachel – bevor ich sterbe. Du musst dich für älter ausgeben, als du bist, dir eine Arbeit suchen, und wie ein „Gorgio“ leben, Rachel. Das Leben der Roma ist nichts für dich, und ich möchte

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