Jordan, Penny
Diese Gedanken wirbelten ihr durch den Kopf, und sie war taub für die winzigen, verräterischen Geräusche, die Rafe machte, während er sie verfolgte. Sie lief weiter auf die Scheune zu und drehte sich nur noch selten um.
Vor der Scheune zögerte Layla kurz und blickte über die Schulter zurück. Niemand war zu sehen. Sie lief hinein, und Duncan, der sie kommen hören hatte, eilte ihr entgegen, zog sie in seine Arme und küsste sie leidenschaftlich.
Als er sie losließ, erzählte Layla ihm von Rafes Beschluss, das Tal zu verlassen.
„Geh nicht mit“, drängte er sie. „Bleib bei mir.“
„Ich möchte es ja.“
Beide ahnten nicht, dass sie bei diesem geflüsterten Geständnis belauscht wurden. Rafe hatte sich in die Scheune geschlichen, während sie sich küssten, stand jetzt in einer dunklen Ecke, beobachtete sie und horchte.
Ein wilder Zorn erfasste ihn. Layla gehörte ihm – aber sie hatte ihn beschämt, indem sie sich diesem „Gorgio“ hingab. Sie hatte das wichtigste Gesetz, der Roma gebrochen. Sie war eine Dirne und würde vom Stamm verstoßen werden, wenn die anderen davon erfuhren. Seine Frau konnte sie nicht mehr werden, aber er würde sie trotzdem nehmen und ihr zeigen, was sie verschmäht hatte, indem sie sich diesem hübschen „Gorgio“-Jungen hingab. Doch zuerst …
Beide sahen nicht, wie er sich heranschlich, bis er nahe genug war, um Layla von Duncan wegzureißen. Mühelos glitt sein scharfes tödliches Messer zwischen Duncans Rippen und hinauf zu seinem Herzen.
Duncan gab einen leisen Laut von sich, einen keuchenden Protest, mit dem ihm ein Blutstrom aus dem Mund schoss, und stürzte zu Boden. Rafe hatte ihn mitten ins Herz getroffen, und während Layla noch entsetzt und ungläubig zu ihm hinabstarrte, starb er unmittelbar vor ihr, die Arme noch immer zu ihr gestreckt und mit einem so erschrockenen und verängstigten Blick in den Augen, dass sie den Ausdruck ihr Leben lang nicht vergessen würde.
Als Rafe sich niederbeugte, um sein Messer wieder herauszuziehen, fuhr sie herum und rannte über den schneebedeckten Boden davon, ohne sich ein einziges Mal umzusehen.
Rafe ließ sie gehen. Wohin sollte sie schon laufen? Er wischte Duncans Blut von seinem Messer und starrte gefühllos auf den leblosen Körper seines Rivalen. Der „Gorgio“ hatte ihm die Frau gestohlen, deshalb war es nur gerecht, dass er zur Strafe dafür sein Leben verlor.
Layla würde er auf andere Weise bestrafen. Er lächelte jetzt schon grausam bei dem Gedanken daran. Natürlich würde er sie nicht mehr zur Frau nehmen; sie war unrein nach der körperlichen Vereinigung mit dem „Gorgio“, aber er würde sie trotzdem in sein Bett holen.
Rafe besaß einen Makel, der bei den Roma selten ist: Er fügte gern Schmerzen zu. Als kleines Kind hatte es ihm Freude bereitet, Fallen für Kaninchen und andere kleine Tiere aufzustellen – nicht weil der Stamm Nahrung brauchte, sondern weil er den entsetzten Blick der zu Tode erschrockenen Geschöpfe beobachten wollte.
Sein Vater hatte versucht, ihm diesen Charakterzug auszutreiben, aber er hatte ihn nur verdrängen können. Normalerweise ließ Rafe seine Lust, Schmerzen zu bereiten, nur an käuflichen Frauen aus, die er sich nahm, sobald er genügend Geld dafür besaß. Doch jetzt hatte Layla ihm eine Möglichkeit geliefert, sich seiner Lust hemmungslos hinzugeben. Durch ihr eigenes Verhalten hatte sie sich vom restlichen Stamm abgesondert; nach dem Gesetz der Roma würde ihn niemand daran hindern, sie angemessen zu bestrafen. Der Stamm würde nicht zulassen, dass ihre Mutter sie vor seinem Zorn schützte.
Ein einziger Blick in das Gesicht der Tochter genügte, um Naomi zu sagen, dass etwas nicht stimmte. Die Tarotkarten standen ihr plötzlich deutlich vor Augen, und der Tod grinste sie an.
Layla war viel zu verwirrt, um die Wahrheit zu verheimlichen. Entsetzt wich Naomi zurück, als das Mädchen ihr gestand, Duncan Randall und sie hätten ein Verhältnis gehabt.
„Und jetzt hat Rafe ihn getötet“, berichtete Layla ihrer Mutter.
Naomi schwirrte der Kopf. Die Treue zu ihrem Stamm ging ihr über alles. Alle würden unter Laylas Dummheit und Rafes Reaktion darauf zu leiden haben. Der Stamm brauchte einen Führer – er brauchte Rafe. Sie mussten das Tal verlassen, und zwar schnell. Wenn sie fort waren, konnten sie sich vielleicht absprechen, damit die Wahrheit nie ans Licht kam. Natürlich würde die Polizei sie befragen, sobald der Tod des „Gorgio“ entdeckt war,
Weitere Kostenlose Bücher