Jordan, Penny
und sich tagsüber allein in den Bergen und Feldern verbarg.
Als sie elf wurde, begann sich ihr Körper zu verändern und mit ihm auch das Verhalten ihrer Mitschüler. Schuljungen, die sie früher am Haar gezogen und verspottet hatten, quälten sie jetzt auf andere Weise. Sie versuchten, sie in die sanften Rundungen zu zwicken, die sich unter dem Stoff ihrer ärmlichen Kleidung abzeichneten. Und sie liefen ihr hinterher, lachten und machten abfällige, schmutzige Bemerkungen über ihren Körper.
Rachel wusste, was diese Veränderungen bedeuteten. Ihr Stamm lebte im Einklang mit der Natur, und man lehrte die Mädchen, stolz auf ihre Weiblichkeit zu sein.
Ein oder zwei junge Männer schauten sogar verstohlen herüber, wenn sie ihrer Großmutter beim Brennholzsammeln half oder mit ihr an den Klammern und Körben arbeitete. Doch sie vergaßen nicht, wer ihre Mutter gewesen war und was sie getan hatte.
Während die anderen Mädchen ihres Alters ihre neue Weiblichkeit erprobten und mit ihren männlichen Verehrern lachten und flirteten, unterdrückte Rachel ihre Gefühle instinktiv.
Sie ist ein Kind des Schattens, dachte ihre Großmutter häufig betrübt und beobachtete das nachdenkliche Gesicht und die wissenden Augen der Enkelin. Rachel ahnte, dass der ganze Stamm nach Erbteilen ihrer Mutter bei ihr suchte. Solange sie ruhig und unaufdringlich blieb, ließ man sie in Ruhe. Doch manche Dinge lassen sich nicht verbergen, und dazu gehörte auch, dass Rachels Körper erblühte und sich entwickelte.
Schon bald ignorierte sie einfach das Zwicken und die lüsternen Bemerkungen ihrer Schulkameraden. Sie war nicht das einzige Mädchen, das solche groben männlichen Späße ertragen musste. Doch die anderen hatten Freunde, Familie und Beschützer, an die sie sich wenden konnten, wenn die Quälereien der Jungen zu vertraulich wurden. Rachel hatte niemanden, und das wussten die Jungen.
Die Zigeuner zogen im jährlichen Kreislauf durch das Land. In der Pfingstwoche weissagte die Großmutter auf den Märkten Nordenglands, und Rachel flüchtete zu den Hügeln, die sich über die Moore erhoben, wo halbwilde magere Schafe weideten und das Land kahl und unfruchtbar war. Hier und da erhoben sich die Überreste uralter Mauern aus getrockneten Lehmziegeln. Sonst war die Landschaft unberührt.
Pfingsten fuhren die Bewohner der Täler in die Ferien: die wohlhabenderen für drei oder vier Tage, die ärmeren nur einen Tag. Alle zog es in dieselbe Richtung – zur Küste von Lancashire und nach Blackpool. Rachel sah zu, wie die Busse sich mit ihnen füllten, und hörte sie nachts zurückkehren. Die Zigeuner lagerten auf einem kleinen Stück Land nahe dem Marktplatz, wo die Buslinien endeten.
In der Mitte der Stadt spannte sich ein Eisenbahn-Viadukt über den Kanal und die Straße. Nachts waren die Bögen das Ziel der Verliebten. Die Zigeuner sahen auf die „Gorgio“-Teenager mit ihrem fehlenden Schamgefühl herab. Aber Rachel wusste, dass viele junge Männer ihres Stammes – vor allem jene, die auf den Märkten arbeiteten – sich nachts davonstahlen und die Gunst der Mädchen genossen, die sich in kichernden Gruppen unter dem Viadukt versammelten.
Eines Abends lief sie auf dem Rückweg zum Lager zwischen ihnen hindurch und erkannte eins der umschlungenen Paare. Ann Watts ging in ihre Klasse, obwohl sie zwei Jahre älter war. Ann galt als „langsam“. Das betraf allerdings nicht ihre Anziehungskraft auf das andere Geschlecht. Eifersüchtig bedacht auf ihre Rolle als Sexkönigin der Schule, war sie eine von Rachels rachsüchtigsten Freundinnen.
Es sollte noch Jahre dauern, bevor Rachel das Mädchen als das erkannte, was sie war, und Mitleid mit ihr bekam. An diesem Abend sah sie nur, wie sich Ann wollüstig an Tyler Lee drängte.
Tyler Lee war der älteste von drei Brüdern. Er war groß für einen Zigeuner und besaß dichtes, stark gelocktes schwarzes Haar. Schon mit siebzehn war sein Körper von der Arbeit auf den Messen und während des Sommers auf den Feldern fest und muskulös. Seine Haut war braun und seine Augen kohlrabenschwarz.
Tyler war stolz auf sein Zigeunerblut und sollte seine zweite Cousine heiraten. Rachel wusste dies, Ann Watts jedoch nicht. Er war der fantastischste Junge, dem sie je begegnet war, und er sah entschieden besser aus als die schwerfälligen Jungen, die mit ihr zur Schule gingen. Und mehr noch: Tyler war gefährlich. Er fuhr ein Motorrad, das er aus Einzelteilen, die er während seiner Reisen hier
Weitere Kostenlose Bücher