Jordan, Penny
aber irgendwie … Es musste einen Ausweg geben.
„Geh in den Wagen und bleib dort, bis ich zu dir komme“, wies Naomi ihre Tochter scharf an.
Es war so viel zu tun – und Rafe war nicht da. Naomi ging von Wagen zu Wagen und drängte alle, sofort zu packen. Sie traten die Lagerfeuer aus, und die Kinder und die Tiere wurden plötzlich unruhig, denn sie ahnten den bevorstehenden Aufbruch.
Als Rafe eine halbe Stunde später ins Lager zurückkehrte, erkannte er an Naomis Gesicht, dass sie alles wusste.
„Sie hat es dir also erzählt?“, fragte er nur.
Naomi nickte und konnte ihm vor Scham nicht in die Augen sehen. Wie bekümmert wäre ihr Mann gewesen, hätte er diesen Tag noch erlebt!
„Wir müssen fort. Die Polizei wird kommen. Sie wird Fragen stellen …“
„Auf die unsere Leute keine Antwort geben werden“, warnte Rafe sie und sah sie an. „Heute Nacht wirst du deine Tochter zu mir schicken.“
Ein Blick in sein Gesicht genügte, um Naomis Einwand verstummen zu lassen. Schweren Herzens kehrte sie zu ihrem Wagen zurück. Layla hatte gegen eines der strengsten Tabus des Stammes verstoßen, und es war nur gerecht, wenn sie bestraft wurde. Doch der Ausdruck in Rafes Augen hatte sie bis ins Mark gefrieren lassen, und Layla war trotz allem ihre Tochter.
Layla hatte sich in ihrer Koje zusammengerollt und starrte ausdruckslos in den Raum. Als Naomi ihr Rafes Urteil nannte, schüttelte sie heftig den Kopf.
„Ich werde nicht zu ihm gehen!“
Schmerz und Sorge beschatteten Naomis Augen, und sie sah ihre schöne, wilde Tochter an. Selbst jetzt hielt sie den Kopf stolz aufrecht – zu stolz vielleicht. Sie schämte sich kein bisschen.
„Ich werde nicht zu ihm gehen!“
„Mein Kind, dir bleibt keine Wahl.“
„Keine Wahl …“ Diese Worte gingen Layla nicht aus dem Kopf. Sie verabscheute Rafe … Wenn sie gekonnt hätte, hätte sie ihn für das, was er getan hatte, selbst getötet. Aber sie ging nicht so geschickt mit dem Messer um wie er, und ihre Kraft war winzig im Vergleich zu seiner.
Selbst jetzt begriff sie noch nicht recht, was geschehen war. Sie konnte einfach nicht glauben, dass Duncan tot war. Noch schirmte der Schock sie vor der Wahrheit ab.
Als die Polizei ins Lager kam, beantworteten die Zigeuner gleichmütig die Fragen und gaben sich gegenseitig ein Alibi. Rafe stand schweigend abseits und wartete.
Sir Ian, der mit der Polizei gekommen war, sah zusammengesunken und alt aus. Naomi bedauerte ihn aufrichtig. Er hatte jemanden verloren, der ihm wie ein Sohn gewesen war, und sie erkannte, wie niedergeschlagen er war.
Die Polizei hatte Rafe schon vernommen. Er hatte behauptet, er habe gejagt, und zwei Männer als Zeugen genannt.
So viele Fragen die Polizei auch stellte, sie konnte die misstrauische Mauer des Schweigens der Zigeuner nicht durchbrechen. Die Beamten wussten, dass einer von ihnen Duncan getötet hatte.
„Sie halten zusammen wie Pech und Schwefel, wenn Sie den Ausdruck verzeihen, Sir Ian“, sagte der Polizeisergeant, als sie zu den Landrovern zurückkehrten. „Wir bekommen nichts aus ihnen heraus.“
„Aber weshalb – weshalb? Das begreife ich nicht. Duncan war so ein netter Junge.“
„Das werden wir wahrscheinlich nie erfahren.“
„Einer von denen hat es getan, dessen bin ich sicher“, erklärte der Sergeant später auf dem Polizeirevier gegenüber seinem Vorgesetzten. „Doch ich bezweifle, ob wir je herausbekommen werden, wer es war. Sie haben sich gegenseitig Alibis verschafft, die wir niemals aufdecken können.“
Als es dämmerte, aß der Stamm schweigend zu Abend. Ein Schleier aus Misstrauen und Angst hatte sich über das ganze Lager gelegt. Seit ihrer Rückkehr hatte niemand ein Wort mit Layla gesprochen. Sie hatte allein im Wagen ihrer Mutter gegessen, und jetzt näherte sich der Zeitpunkt, wo Rafe seine Rache einlösen wollte.
Sie zitterte, wenn sie daran dachte, was er ihr antun könnte. Duncans Liebe hatte ihre Sinnlichkeit geweckt, und sie hatte sich ihm freudig geöffnet. Für Rafe jedoch empfand sie nur Angst und Hass. Er hatte den Mann getötet, den sie liebte, und dafür würde sie ihn immer verabscheuen. Und sie fürchtete ihn, wie jede Frau einen Mann fürchtet, von dem sie spürt, dass er ihr Schmerzen zufügen will.
„Du musst zu ihm gehen“, erklärte Naomi ruhig. „Wenn du es nicht tust, werden dich die anderen Männer zu ihm bringen, und das ist noch schlimmer. Besser, du erträgst das Unabwendliche und behältst deinen
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