Jorina – Die Jade-Hexe
Handstreich erhofft hatten. Also war es wirklich ein Überfall gewesen.
Mit angespannten Sinnen lauschte Jorina in die Nacht. Es kam ihr so vor, als befände sie sich gleichzeitig in zwei Welten. Das leise, verstohlene Gurgeln des brackigen Wassers, mit dem ihre Füße immer tiefer im Schlamm einsanken. Den unterdrückten Laut einer Kröte, der von einem nächtlichen Käuzchen und geheimnisvollen Rascheln im Gebüsch beantwortet wurde. Das schwere, gleichmäßige Atmen des Mannes, dessen Schultern sie umschlungen hielt, während sein Kopf schwer auf ihrem Oberarm ruhte.
Die Stimmen über ihr klangen rauh und gedämpft. Jemand befahl, dem Ochsen ein Geschirr anzulegen und den »Kerl« aus dem Weg zu räumen. Flüche antworteten, Zweige brachen, und ein schweres Platschen gar nicht weit von Jorina entfernt, erklärte, was mit dem »Kerl« geschehen war. Sie machte die Umrisse eines Körpers aus, der reglos und verkrümmt halb im Wasser lag. Edwy?
Der kühle Nebelhauch, vermischt mit dem Geruch des stehenden Wassers, der moorigen Erde und faulender Blätter, mischte sich mit jenem von frischem Blut.
Unwillkürlich rückte Jorina näher zu ihrem stummen, bewusstlosen Begleiter. Ihre Wange sank auf seinen Scheitel. Er roch nach Schweiß, nach Schmutz und einem Hauch von Minze, nach Leben! Sie klammerte sich daran, um nicht vor Furcht den Verstand zu verlieren, und schloss zitternd die Augen.
Sie konnte nichts anderes tun als schweigen und warten.
Warten auf den Tod?
4. Kapitel
Kalt! Gütiger Himmel, wie schrecklich kalt es ihr war! Das Blut schien ihr in den Adern erstarrt und ihr Körper ein einziger Eisbrocken zu sein. Ihre Zähne schlugen klirrend aufeinander, und ein rauhes Stöhnen drang aus ihrer schmerzenden Kehle.
Jorina vermochte nicht zu sagen, was sie aus ihrer schrecklichen Benommenheit geweckt hatte, dann kamen die Erinnerungen Stück für Stück zurück – es war ein bedrückendes Bild. Sie merkte, dass sie steif und verkrampft im Schlamm kauerte, und hatte Angst, dass sie wie die Eisfläche auf einer Wasserschüssel in tausend Stücke brechen würde, wenn sie sich zu schnell aufrichtete.
Sie holte vorsichtig Luft und stützte sich mit flachen Händen gegen den steilen Hang. Langsam und bewusst füllte sie ihre Lungen, und versuchte, sich zurechtzufinden. Es war immer noch dunkel.
Unter ihren Handflächen fühlte sie nasse, scharfe Binsen. Der durchdringende Mörderhauch brackigen Wassers stieg aus dem Schlamm auf, und ihr Rock klebte schwer und klamm um ihre bloßen Beine. Kein Wunder, dass sie fror! Sie rieb sich erschauernd die Oberarme und horchte in die Dunkelheit hinaus.
Nichts war zu hören, kein menschlicher Laut. Ungestörte Natur. Sie hatte lange genug im Wald gelebt, um das beurteilen zu können. Die Wegelagerer waren verschwunden und hatten sich nicht die Mühe gemacht, nach weiteren Opfern zu suchen! Sie war dankbar dafür, aber dennoch hatte sie wichtigere Probleme zu lösen.
Zitternd wandte sie sich dem Mann zu, der wie sie halb im Wasser lag. Unter ihren Handflächen fühlte sie das krampfhafte Beben seines Körpers. Keine Spur von Fieber. Er fror noch schlimmer als sie. Er musste unbedingt aus dem Wasser heraus!
Sie zerrte an seinem gesunden Arm, seinen Schultern und gab es nach kurzer Zeit keuchend wieder auf. Ebenso gut hätte sie versuchen können, einen jener mannshohen Steine zu bewegen, die im Wald von Penhor von alten Göttern und Mythen kündeten.
»Gütiger Himmel, Seigneur, Ihr müsst selbst mithelfen, ich kann Euch nicht allein aus diesem schrecklichen Sumpf ziehen ...«
Sie erschrak selbst am allermeisten, als ihr seine rauhe, angestrengte Stimme tatsächlich antwortete. »Welcher Sumpf ... wie kommen wir in den Sumpf? Wir dürfen nicht in den Sumpf, wieso hat niemand meine Befehle weitergegeben? Der Sumpf ist gefährlich ...«
Im schmerzenden Kopf des Mannes mischten sich Wirklichkeit und Alptraum, und Jorinas anfängliche Erleichterung wandelte sich wieder in Sorge.
»Ihr dürft jetzt nicht ohnmächtig werden«, bat sie verzweifelt und schüttelte ihn ohne Rücksicht auf die Wunde in seiner Schulter. »Wacht auf! Verdammt, reißt Euch zusammen! Ich habe Euch nicht aus Auray fortgebracht, damit ihr in diesem Dreckloch sterbt!«
Die Bewegung entlockte dem Verwundeten einen unterdrückten Schmerzensschrei. Sie spürte den Schauder, der durch seinen ganzen Körper lief, und litt mit ihm.
»O Gott, ich bin blind!« keuchte er entsetzt und verriet ihr damit, dass
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