Jorina – Die Jade-Hexe
mich besser zurechtfinde. Wir brauchen einen Unterschlupf ...«
»Verbessere mich, wenn ich mich irre, aber so, wie es aussieht, bist du in dieser Gegend genauso fremd wie ich. Wir werden uns verirren, wenn wir einfach so durch den Wald spazieren. Ganz davon abgesehen, dass ich nicht der passende Begleiter für ein solches Unternehmen bin, ist dir klar, dass es wilde Tiere und tausend Gefahren in diesem Forst gibt? Wir haben keine Waffen!« Seine Stimme wurde immer schwächer und erstarb schließlich ganz.
»Der Wald ernährt und beschützt die Seinen, Seigneur!« entgegnete Jorina trotzig und warf den Zopf über die Schulter.
Sie verbot sich energisch jeden sehnsüchtigen Gedanken an trockene Kleider, frisches Brot und andere Annehmlichkeiten. Dafür entdeckte sie direkt neben sich einen Brombeerbusch, dessen Zweige unter der Last seiner letzten Früchte bis auf den Boden sanken. Sie sammelte, was er übrig hatte, und trat zu dem Verwundeten. In ihren schmutzigen Händen reichte sie ihm die prallen Beeren.
»Esst, Seigneur! Mehr kann ich Euch im Moment nicht bieten, aber es wird Euch vielleicht dabei helfen, mir zu glauben!«
Der Mann, der an der Tafel des Königs von Frankreich gespeist hatte, der venezianische Glaskelche und schwere Silberteller dabei benutzt hatte, aß die Beeren und musste zugeben, dass er selten etwas Köstlicheres genossen hatte. Für einen Moment gab er sich der widersinnigen Hoffnung hin, dass alles gut werden würde. Dann entdeckte er die schwarzen Spuren der Moorerde, die unter den Früchten an ihren Händen klebte. Sein Blick wurde düster, und er lehnte die letzten Beeren schroff ab.
»Iss selbst und plage mich nicht länger.«
»Müsst Ihr so störrisch sein?« protestierte Jorina, und in der zunehmenden Helligkeit des Morgens konnte er das ärgerliche Blitzen ihrer Augen erkennen. »Ich werde Euch füttern, wenn Ihr nicht selbst imstande seid zu essen. Ihr werdet nicht aufgeben, ich lasse es nicht zu! Ihr seht nicht aus wie ein Mann, der kapituliert, weil sich ein paar Galgenvögel eingemischt haben.«
»Nein, ich sehe aus wie ein Narr!« entgegnete er bitter.
»Ihr seht aus wie ein Mann, der eine schwere Kopfwunde erlitten und einen Pfeil in die Schulter bekommen hat. Gönnt Euch die Zeit, gesund zu werden, ehe Ihr gegen die Welt und Euch selbst kämpft! Esst!«
Jorinas Befehlston entlockte ihm einen seltsamen Laut. »Hat dir noch niemand gesagt, dass es sich nicht gehört, andere Menschen zu plagen?«
Sie hob anmutig die Schultern und gönnte ihm ein Lächeln, von dem sie nicht ahnte, welchen Charme es besaß und wie sehr es ihr Gesicht veränderte.
»Meine Mutter hat mir erklärt, dass kranke Männer den eigenartigsten Grillen anheimfallen und dass man sie in solchen Fällen nie ernst nehmen sollte!« entgegnete sie und erinnerte sich, dass ihre Mutter tatsächlich einmal etwas in dieser Art gemurrt hatte, als sie einen zeternden Wildhüter versorgte, der sich unweit ihrer Hütte in seiner eigenen Falle verletzt hatte.
Der Ritter ertappte sich dabei, dass er ihr lächelndes Gesicht anstarrte, als sei es das erste Wunder der Schöpfung. Dann tat er, was sie sagte. Kein Zweifel, er sah nicht nur aus wie ein Narr, er handelte auch wie ein Narr!
5. Kapitel
»Er ist was? «
»Er ist nicht unter den Verwundeten, die man in Rennes in die Kerker geworfen hat. Es steht unzweifelhaft fest, ich habe die Männer auf den Karren selbst in Augenschein genommen!«
Der ellenlange Fluch, der dieser Nachricht folgte, ließ sogar die Männer an der Seite Paskal Cocherels zusammenzucken. Es war nicht ratsam, den selbst ernannten Herzog von St. Cado in diesen Tagen zu reizen.
»Auch Edwy ist wie vom Erdboden verschwunden«, fügte der Spion hinzu. »Wäre Nadier nicht so schlimm verletzt, ich würde fast annehmen, der Ritter hätte ihn überwältigt und sei geflohen!«
»Edwy ...«, wiederholte Cocherel und senkte die Lider, damit niemand erkennen konnte, was er dachte. »Edwy besitzt zwei Schwächen: Gold und Weiber. Welche war es dieses Mal?«
Schweigen senkte sich über die Ruinen des Klosters von Sainte Anne d’Auray, das dem Söldnerführer als heimliches Hauptquartier diente. Obwohl er erfahren hatte, was er wollte — in einer wahren Orgie von Blut und Gewalt –, war seine Laune nicht besser geworden. Der boshafte Streich, den ihm die Äbtissin der heiligen Anna genau in dem Moment gespielt hatte, in dem er glaubte, den Sieg errungen zu haben, hatte einen Tobsuchtsanfall
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