Jorina – Die Jade-Hexe
ausgelöst, dessen Folgen sogar seine abgebrühten Waffenbrüder in Schrecken versetzte.
»Die Belohnung«, knurrte St. Cado und schlug seinen gepanzerten Reithandschuh hart in die offene rechte Hand. »Der Kerl muss von der Belohnung erfahren haben, die Montfort auf die Ergreifung des Ritters ausgesetzt hat. Hundert Goldstücke für den Kopf des Verräters! Dafür wagt es dieser Narr, meine Pläne zu stören! Ich will sie haben, alle beide, und möglichst lebendig...!«
»Das ist noch nicht alles«, wagte der abgerissene Söldner einzuwenden, der die Nachrichten aus der Stadt brachte. »Unter den Mägden, die sich um die Verwundeten gekümmert haben, befand sich ein Mädchen, auf das haargenau die Beschreibung einer Novizin passt. Der Feldscher erinnert sich an die Kleine, weil sie so ungewöhnlich helle Augen hatte und sich geschickter als alle anderen anstellte, wenn er sein Schlächterhandwerk tat. Anscheinend hat sie sich besonders um diesen verwundeten Ritter gekümmert und wird seit seinem Verschwinden ebenfalls vermisst.«
»In der Tat ...« Der Handschuh mit den aufgenähten Metallschuppen klirrte leise, als der bullige Söldnerführer seine riesige Hand wieder hineinschob und zu einer bedrohlichen Faust ballte. »Dann will ich sie alle drei, und ich will sie lebend, haben wir uns verstanden? Kein Haar wird ihnen gekrümmt, ehe ich nicht den Befehl dazugebe!«
Er schwang sich in den Sattel eines mächtigen Streitrosses, das unter dem Gewicht seiner Person und seiner Rüstung schnaubte. Ein brutaler Zug an der Trense brachte das Tier zum Gehorsam, ehe sich Paskal Cocherel kurz umsah und das ehemalige Kloster im Wald mit einem verächtlichen Blick streifte.
»Vorwärts! Wir sehen uns in St. Cado!«
Er überließ es seinen Hauptleuten, die Befehle weiterzugeben und den Suchtrupp zusammenzustellen. Er erwartete bedingungslosen Gehorsam von ihnen, und niemand begehrte dagegen auf. Es lebte sich gut in der Festung von Cado und unter dem Befehl dieses Mannes, solange man nicht zu jenen gehörte, die ihm und seinen Zielen im Wege standen. Es waren nicht mehr viele, aber Jean de Montfort, der neue Herzog des Landes, zählte dazu.
Für einen kurzen Moment erlaubte sich der Herr der mächtigsten Söldner-Compagnie der Bretagne einen rosigen Zukunftstraum. Auch Montfort würde am Ende kapitulieren müssen. Egal, ob er ihn nun töten musste wie Charles de Blois oder ob er sich am Ende entschied, ihm Gehorsam zu leisten. Dies war sein Land, und sobald er das Kreuz von Ys in seinem Besitz hatte, würde das Land ihm huldigen. Niemand würde ihn jemals wieder einen Räuber und Schurken nennen, wie es Raoul de Nadier getan hatte.
Die böse verkrampften Lippen des Mannes verzogen sich zu einem höhnischen Lächeln. Raoul de Nadier war ohnehin erledigt, auch wenn er sich für den Augenblick in Sicherheit wiegen mochte.
Edwy lag unweit von ihnen mit dem Gesicht nach unten im Schlick des Grabens. Jorina starrte die grotesk verrenkte Gestalt an. Sie empfand Schrecken darüber, dass ein Leben so leicht auszulöschen war, aber auch Erleichterung über seinen Tod, weil sie nun nicht mehr dafür bezahlen musste, dass er ihr geholfen hatte. Seine Hände, seine Worte, seine Drohungen und Blicke gehörten für immer der Vergangenheit an. Sie war nicht mehr gezwungen, ein Wort zu halten, das sie nur aufgrund ihrer Verzweiflung gegeben hatte.
Sie wollte sich abwenden, dann besann sie sich eines Besseren. Sie presste die Lippen aufeinander, raffte ihren feuchten Rock und kletterte über die Böschung hinunter zu dem Toten. In ihrer Lage konnten sie sich keine Skrupel leisten. Sie versuchte, die klaffende Halswunde nicht zur Kenntnis zu nehmen, und sie versagte es sich auch, sein Gesicht aus dem Schlamm zu befreien. Er atmete schon längst nicht mehr. Ihr war nur die Hand wichtig, die im Todeskrampf einen Dolch umklammerte.
Mit zusammengebissenen Zähnen zerrte sie nacheinander Waffe, Wams, Hemd, Hosen und Stiefel von der starren, leblosen Gestalt. Die Kleider waren steif von Blut und Dreck, und sie musste ihre ganze Kraft aufbieten, um das Messer aus der leblosen Faust zu winden. Die sinnlose Verschwendung eines Lebens tat ihr leid, aber Edwy selbst vermochte sie keine Träne nachzuweinen.
Trotzdem musste Jorina gewaltsam die Rebellion ihres Magens niederkämpfen, als sie ihre erbärmliche Arbeit getan hatte. Beladen mit ihrer Beute, richtete sie sich auf und begann wieder nach oben zu klettern. Ihr Gefährte erwartete sie
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