Jorina – Die Jade-Hexe
Erkenntnis kam.
»Messire de Nadier ist unschuldig«, sagte Jorina noch einmal. »Er hat keines jener Verbrechen begangen, die man ihm zur Last legt!«
»Wie willst du das wissen? Was auf dem Schlachtfeld bei Auray geschehen ist, können nur die Männer beurteilen, die dort gekämpft haben. Oder willst du behaupten, du seist dabei gewesen?«
»Fast«, wisperte das junge Mädchen und starrte auf seine zitternden Hände. Weiße gepflegte Finger, denen man ansah, dass sie seit Wochen keine schwere Arbeit mehr getan hatten. Wie lange lag das Drama von Sainte Anne d’Auray schon zurück? »Die Söldner des falschen Herzogs von St. Cado haben das Kloster überfallen und geplündert, in dem ich als Novizin lebte ...«, begann sie ihren Bericht.
»Du bist Nonne?« fiel ihr Dame Rose entgeistert ins Wort.
»Nein. Mutter Elissa hätte es gerne gesehen, wenn ich eine geworden wäre, aber sie bat mich nie, die letzten Gelübde abzulegen. Ich war Novizin ... Vielleicht hat sie geahnt, dass es mir an der wahren Frömmigkeit am Ende doch fehlt!«
Die Tuchhändlerin öffnete den Mund, entschied sich aber dann doch zu schweigen. Es war vielleicht besser, wenn sie ihre Fragen später stellte.
Jorina hingegen tauchte in die Schrecken, die Hilflosigkeit und in das Glück der zurückliegenden Wochen, als finde sie die vertraute Haut zurück, die ihren Körper bedeckte. Sie wurde wieder lebendig.
22. Kapitel
»Aber das ist unmöglich!«
Jorina starrte die Gemahlin des Tuchhändlers an, als habe sie Dame Rose noch nie gesehen. Vielleicht lag es auch daran, dass sie diese vier Worte noch nie von ihr vernommen hatte. Gab es tatsächlich etwas unter dem weiten Himmel dieses Landes, das sie nicht wagen würde?
»Verzeiht, aber das kann ich nicht glauben!« wagte sie nun ihrerseits einen Widerspruch.
Nun war es an der Älteren, das Mädchen anzustarren, das in moosgrünem flämischem Wolltuch mit Samtbesatz vor ihr saß und plötzlich einer zierlichen Kriegerin glich, die vor keinem Kampf zurückschreckte. Die gehorsame Kranke mit der leisen Stimme war verschwunden.
»Kind ...« Dame Rose holte tief Atem. Sie war noch so mit der Geschichte beschäftigt, die ihr Schützling berichtet hatte, dass sie ausnahmsweise Probleme hatte, in die Wirklichkeit zurückzufinden. »Ich kann sehen, dass du wenig Erfahrung mit der Welt hast, auch wenn Schlimmes hinter dir liegt. Glaube mir, es ist nicht gut, wenn sich unsereins in die Angelegenheiten der hohen Herren mischt. Es bringt nur Ärger.«
»Das Weiß ich sehr wohl«, beharrte Jorina. »Aber ich kann doch nicht zusehen, wie man ihn hinrichtet! Zulassen, dass man seine Ehre, seinen Namen und seine Person für alle Zeiten mit dem Makel des Verräters belastet.«
»Es geht nicht immer gerecht zu auf dieser Welt, auch wenn man dir das in diesem Kloster gesagt haben sollte«, erklärte Dame Rose nüchtern. »Sei froh, dass sich die Dinge für dich zum Besseren gewendet haben, und vergiss, was gewesen ist!«
»Unmöglich!« In einem Anflug ihres alten Temperaments sprang Jorina auf. »Ich werde nicht zulassen, dass er stirbt!«
»Was willst du tun? Dem Henker in den Arm fallen? Du träumst, Kind!«
Jorina schüttelte den Kopf, dass der Schleier auf ihren Zöpfen flog. »Ich muss mit dieser Edeldame sprechen. Sie glaubt auch nicht daran, dass Messire Raoul ein Verräter ist. Ihr sagt, sie sei von großem Einfluss am Hofe des Herzogs. Sie kann seine Partei ergreifen, wenn sie von mir erfährt, was in Wirklichkeit geschehen ist. Sie kann dem Herzog den Fall vortragen!«
»Du bist närrisch!« Dame Rose runzelte unwillig die Stirn. »Madame de Tréboule zählt zu unseren besten Kundinnen, du wirst sie nicht wegen eines solchen Hirngespinstes belästigen. Wir können es uns nicht leisten, dass sie ihre Stoffe künftig bei einem anderen Händler kauft, nur weil du sie verärgert hast. Du wohnst unter unserem Dach, also hast du in erster Linie die Interessen dieses Hauses zu wahren!«
»Aber ...«
»Kein Aber!« fiel Dame Rose Jorina ungewohnt streng ins Wort. »Ich bin glücklich darüber, dass du dir nicht länger den Kopf zermartern musst, wer du bist und wo du herkommst, aber damit hat es sich. Wir haben dich als unsere Ziehtochter angenommen, die uns der Himmel gesandt hat, und da du keinerlei Familie besitzt, ist das nur rechtens. Ich verlange jedoch, dass du mir gehorchst, wie du deiner Mutter gehorchen würdest!«
Jorina schluckte und sah in das strenge Gesicht, das nun mehr dem Mutter
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