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Jorina – Die Jade-Hexe

Jorina – Die Jade-Hexe

Titel: Jorina – Die Jade-Hexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Cordonnier
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können, der nicht einmal ein Enkel als Trost geblieben war, denn auch das kleine Wesen hatte seine Mutter nur um ein paar Tage überlebt.
    Eine nach Balbines mürrischer Meinung nur flüchtige Ähnlichkeit mit der Verstorbenen hatte Dame Rose verlockt, das kranke fremde Mädchen zu sich zu nehmen. Die Sorge um Jorina hatte sie endlich aus jener schrecklichen Trauer gerissen, und Maître Joseph war so glücklich, sie wieder in alter Energie aufblühen zu sehen, dass er bereit war Jorina ebenfalls in sein Herz zu schließen. Natürlich auf seine eigene brummige Art.
    Trotzdem weigerte sich die junge Frau, das angebotene Heim, die freigebig verschenkte Liebe und die Sicherheit des wohlhabenden Bürgerhauses in letzter Konsequenz anzunehmen. Eine hartnäckige Stimme, die mit jedem Tag klarer wurde, sagte ihr, dass sie es nicht tun durfte. Dass eine andere Aufgabe auf sie wartete.
    »Ich habe Angst vor dem, was ich über mich herausfinden könnte«, wisperte sie in der Stille des Nähzimmers und strich mit seltsam abweisender Miene über die prachtvollen Stoffe.
    Es war alles, was sie an Andeutung wagte. Wie konnte sie dieser ehrbaren Dame von ihren Träumen berichten? Von der schmerzlichen, nächtlichen Sehnsucht ihres Körpers nach Berührungen und jenen berauschenden Gefühlen, deren Echo in ihr nachklang. Sie bezweifelte, dass sie die ahnungslose ehrbare Jungfer war, die Dame Rose in ihr sah. Ein solches Mädchen sehnte sich nicht nach der leidenschaftlichen Umarmung eines Mannes mit grünen Augen.
    Immer öfter tauchten diese Augen vor ihr auf, verschmolzen zu purem grünem Feuer, bis sie am Ende wie ein geschliffenes Juwel leuchteten. Träume, nach denen Jorina verwirrt aufwachte und sich fragte, was sie zu bedeuten hatten. Die ihr das Herz mit einem Kummer beschwerten, für den sie keinen Namen finden konnte.
    Was hatte sich in der Vergangenheit ereignet, dass ihr Kopf sich weigerte, die Erinnerungen einzulassen? Was verband sie mit dem Mann, den sie in ihren schlaflosen Nächten in sich zu spüren glaubte?
    »Hör auf zu grübeln, Kind!« Dame Rose fürchtete den verlorenen Ausdruck, der wie ein Schatten über Jorinas feine Züge glitt. »Ich habe lange genug gelebt, um zwischen einem guten und einem schlechten Menschen unterscheiden zu können. So, nun streck bitte deinen Arm aus, damit wir das Maß nehmen können. Es wäre schade, wenn wir überflüssig Tuch verschneiden, nur weil wir nicht sorgfältig genug gearbeitet haben!«
    Jorina fügte sich dem Befehl, wie sie sich in dieser Zeit allem fügte. Leicht betäubt und ein wenig melancholisch. Was auch immer in ihrem früheren Leben geschehen war, irgendjemand hatte sie das stumme Gehorchen gelehrt.
    Das hölzerne Deckengewölbe der alten Kirche schloss sich wie der umgekehrte Bug eines großen mächtigen Schiffes über den Köpfen der Gläubigen. Ein Wald aus geschnitzten Balken, vom Rauch der Kerzen und Lämpchen geschwärzt.
    Draußen fegte ein stürmischer Dezemberwind durch die Gassen von Rennes, und auch in dem Gotteshaus schien es durch alle Fugen zu pfeifen. Die Kerzenflammen zitterten nervös, und Jorina zog den warmen Umhang frierend um die schmalen Schultern.
    Das sonntägliche Hochamt von St. Sauveur wurde an diesem Adventstag durch die Anwesenheit des Herzogs und seines Hofstaates ausgezeichnet. Jean de Montfort und die Damen und Herren seines Gefolges ließen das Gotteshaus förmlich aus den Nähten platzen. Alle Welt drängte sich so eng aneinander, dass kaum noch ein Rosenkranz dazwischen zu Boden fallen konnte. Natürlich hatten die edlen Herrschaften den Vortritt, und so warteten Dame Rose und ihr Haushalt geduldig, bis sich das Gewühl nach der Messe so weit auflöste, dass man gefahrlos den eigenen Heimweg antreten konnte.
    Jorina hatte Sicherheit im Schutz einer der Säulen gefunden, und sie lauschte müßig dem Gespräch zweier herausgeputzter Edeldamen, die ebenfalls keine Eile damit hatten, hinaus in den Sturm zu kommen. Irgend etwas an dem Gespräch kam ihr vor, als sei es für sie bestimmt ...
    »Habt Ihr ihn nicht einmal mit Eurer Gunst ausgezeichnet, Dame Suzelin?« erkundigte sich die Ältere, die ganz in rubinrotem Samt und grauem Rauchwerk prunkte.
    »Erinnert mich nicht daran«, meinte ihre Begleiterin übertrieben schaudernd und vergrub die schneeweißen schmalen Hände in einem Pelzmuff aus kostbarstem Hermelin. Jorina beobachtete die puppenhafte blonde Schönheit, deren dünne Brauen und fein geschwungene Lippen so künstlich

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