Jorina – Die Jade-Hexe
erforderte.
An diesem Dezembertag war das Licht jedoch so düster, dass man trotz der zusätzlichen Kerzen kaum zwischen Dunkelgrün, Blau und Schwarz zu unterscheiden vermochte. Die Kundin, die von ihrer Kammerfrau und zwei Mägden begleitet die Stoffe prüfte, hatte trotzdem volles Vertrauen in die Qualität der angebotenen Waren.
»Ich nehme auf jeden Fall diesen Samt dort, Maître Joseph«, entschied sie sich. »Laßt die Länge für ein großzügig bemessenes Gewand abschneiden und den passenden Stoff für ein Unterkleid hinzufügen. Und was diese wundervolle purpurfarbene Seide dort betrifft, würde ich gerne noch einmal über den Preis mit Euch reden ...«
Die Stimme erregte Jorinas Aufmerksamkeit, als sie eben mit einem Korb voller Leinenwäsche an der halb offenen Tür vorbeischritt. Sie setzte ihre Last ab und sah vorsichtig durch den Spalt in den Laden. Fast hätte sie sich mit einem Laut verraten.
Die Dame de Tréboule hatte sich mit dem Tuchhändler über den Preis der Seide geeinigt und beendete zufrieden ihre Bestellung. »Packt alles zusammen und schickt mir die Lieferung bis morgen in mein Haus!«
»Nicht in die Burg?« fragte Maître Joseph diensteifrig.
»In diesen Tagen ist mir dort zu viel Trubel, Maître. Ich werde nicht jünger, und ich schätze es, meine eigenen vier Wände um mich zu haben. Ich habe die Herzogin gebeten, sich nach einer jüngeren Dame umzusehen, die das Amt der Oberhofmeisterin übernehmen kann.«
»Die Frau Herzogin wird es bedauern«, schmeichelte der Tuchhändler seiner Kundin.
Madame de Tréboule schmunzelte und ließ sich von einer Magd den Mantel wieder umlegen. Wie es aussah, gedachte sie ihren Besuch in Kürze zu beenden.
Jorina schickte ein hastiges Dankgebet zum Himmel. Es konnte kein Zufall sein, dass die Dame ausgerechnet an diesem Montagnachmittag in den Laden des Tuchhändlers kam. Es war die Antwort auf ihre Gebete!
Sie warf einen vorsichtigen Blick zur Treppe. Dame Rose war mit Balbine im ersten Stock und prüfte die Wäschetruhen. Was nicht mehr gut genug, schmutzig oder verstaubt war, musste Jorina hinunter in den Hof tragen. Dort wurde es entweder in dem großen Wäschekessel gekocht und gewaschen oder für die Armen gefaltet und zur Seite gelegt. Wenn sie jetzt einfach das Leinen zu den Wäscherinnen brachte und aus dem Hof schlüpfte, um der Edelfrau zu folgen, würde es sicher geraume Zeit dauern, ehe man sie vermisste und suchte.
Jorina zögerte keinen weiteren Moment. Sie legte die große Schürze ab, die sie über einem jener adrett-sittsamen neuen Kleider trug, mit denen Dame Rose ihre Truhen füllte. Es war kalt und höchst unfreundlich draußen, aber sie verzichtete trotzdem darauf, ihren Umhang aus der Kammer zu holen. Dame Rose würde sicher Verdacht schöpfen und unliebsame Fragen stellen, denn sie bewachte ihre Ziehtochter mit Argusaugen.
So kam es, dass sich der Frauengruppe aus dem Hause Tréboule im Gewimmel auf der schmalen Gasse eine Person anschloss, die niemandem auffiel. Inzwischen hatte es zu regnen begonnen, und sogar Maître Joseph kürzte seine höflichen Abschiedsgrüße an der Ladentür stark ab. Jedermann zog den Kopf ein und beeilte sich, an das Ziel seines Weges zu kommen. Sogar die streunenden Katzen und Hunde suchten den Schutz von Höfen und Hauseingängen auf.
Die Edeldame hatte sich bereits im Laden die weite Kapuze über die steife Haube legen lassen. Von hinten glich sie in ihrem prächtigen Umhang einem dunklen Ball, der vor Jorina eilig durch die Straßen rollte. Der Regen machte die Pflastersteine glitschig, und die Wasserspeier an den Dächern schütteten zusätzliche Güsse auf die Gassen. Jorina spürte, wie die Feuchtigkeit Schultern und Ärmel ihres Gewandes durchtränkte und die Rocksäume beschwerte. Auch die Flügel ihrer reinlichen Leinenhaube fielen immer matter und schwerer herab.
Glücklicherweise eilte Madame jedoch nach kurzer Zeit die flachen Steinstufen eines Hauses im Schatten der Kirche von Saint Sauveur hoch. Sie wischte ihren Majordomus mit einer ungeduldigen Handbewegung zur Seite, als er ihr das geschnitzte Portal von eigener Hand öffnete.
»So lasst uns doch erst einmal eintreten. Gütiger Himmel, was für ein schreckliches Wetter ...«
Der ältliche Mann in der prächtig bestickten Livree betrachtete säuerlich das Häufchen naßgeregneter Frauen, die unter leisen Lauten des Unwillens hereinkamen und die Röcke schüttelten.
»Es wäre besser gewesen, Ihr hättet den
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