Jorina – Die Jade-Hexe
Tuchhändler ins Haus kommen lassen, Dame Lucille!« wagte er seine Herrin zu schelten. »Bei diesem Wetter nach draußen zu gehen ist einfach leichtsinnig! Ihr werdet Euch erkälten und dann ... Ei, wen haben wir denn da?«
Jorina fand ihren Arm von einer kräftigen Hand umklammert und sah in die zornigen Augen des Haushofmeisters von Madame de Tréboule. Er hatte mit scharfem Blick den Kuckuck im Nest sofort entdeckt.
»Was willst du bei uns, Mädchen? Ist’s möglich, dass du dich im Regen dem falschen Gesinde angeschlossen hast? Was für ein dummes Ding du doch bist. Deine Herrin wird dich schelten. Lauf los, damit sie nicht lang’ nach dir suchen muss!«
Er unterstützte seine Rede mit einem auffordernden Schubs nach draußen. Jorina konnte eben noch die Handflächen gegen die Tür stemmen, damit sie nicht vor ihrer Nase wieder ins Schloss fiel und sie aussperrte.
»Nein, ich bitte Euch!« erwiderte sie eindringlich. »Um der Liebe Christi willen, ich muss mit Eurer Herrin sprechen. Es ist dringend!«
»Ei, da hätte unsere Dame viel zu tun, wenn sie sich mit jeder hergelaufenen Magd abgeben wollte.« Der Mann wurde zusehends ungehaltener. »Wenn du dich um einen Dienst bewirbst, dann ist’s umsonst. In diesem Haus gibt es keine Arbeit für deinesgleichen!«
Jorina richtete ihren flehenden hellblauen Blick auf den Diener. »Ich würde Eure Herrin nie belästigen, wenn es nicht von großer Wichtigkeit wäre. Ich bitte Euch, guter Mann ...«
Sie brach ab, denn die Tür wurde mit einem Ruck weiter aufgerissen. Sie fand sich plötzlich den prüfenden Augen der Dame Tréboule ausgesetzt, die sie von den triefenden Zehenspitzen bis zu der tropfenden Haube musterte. Irgendetwas an ihrer Erscheinung veranlasste sie dazu, die Stirn zu runzeln, während sie Jorina winkte einzutreten.
»Kommt herein, Jungfer! Seht Ihr nicht, Messire Regis, dass dies keine Magd ist?«
»Aber sie hat nicht einmal einen Umhang!« protestierte der entrüstete Haushofmeister.
»Ich hatte keine Zeit mehr, ihn zu holen«, erklärte Jorina. »Ich bin Euch vom Haus des Tuchhändlers gefolgt, und ich hatte Angst, dass ich Euch nicht mehr einholen würde ...«
Sie sah zu Boden und bemerkte erleichtert, dass sich die Wasserpfützen, die aus ihren Kleidern sickerten, mit den Lachen vermischten, welche die Umhänge der anderen Frauen verursachten, die sie nun ebenso interessiert wie ihre Herrin betrachteten. Ein Aufsehen, das Jorina weniger gefiel. Wie konnte sie vor aller Welt sagen, was ihr auf der Seele lag?
»Kommt ans Feuer«, lud die Edeldame sie gutmütig ein und schritt an der steinernen Treppe vorbei zu einer doppelflügeligen Tür, die sie weit aufstieß.
Ein flackerndes Kaminfeuer verbreitete in dem großen Gemach dahinter wohlige Wärme, und Jorina sah staunend auf die bunten Teppiche, welche die Wände bedeckten. Der Boden wies ein Sternenmuster aus rautenförmigen weiß und schwarz glänzenden Platten auf, und in den tiefen Fensternischen lagen gepolsterte Kissen. Auch die Taburetts und Stühle, die um den großen Tisch standen, waren gepolstert. Sie zögerte einzutreten.
»Ich werde alles nass machen«, wandte sie unter dem kritischen Blick des Haushofmeisters ein, der sie am liebsten unverzüglich wieder hinausbefördert hätte.
»Das Feuer wird Euer Kleid trocknen«, winkte die Dame ab und reichte einer Magd ihren Umhang, ehe sie an den Kamin trat und die molligen weißen Hände seufzend der Wärme entgegen streckte. »Verratet mir doch, was so wichtig ist, dass Ihr mir bei diesem abscheulichen Wetter durch die halbe Stadt hinterherlauft?«
Jorina warf einen Blick auf den Haushofmeister und die Kammerfrau, die beide ebenfalls eingetreten waren und keine Anstalten machten, den Raum wieder zu verlassen. Sie wollte nicht vor so vielen fremden Ohren sprechen, aber sie wagte auch nicht, darum zu bitten, dass man sie fortschickte.
Lucille de Tréboule las die Gedanken auf den klaren Zügen und verbarg ein leises Schmunzeln. Ihre Neugier war geweckt, und sie gab ihrem Gesinde mit einer Geste zu verstehen, dass sie mit dem fremden Mädchen allein bleiben wollte.
»Ich danke Euch«, wisperte Jorina, als sich die Tür hinter ihnen schloss. Sie schlang die Finger ineinander und starrte Hilfe suchend auf den kostbar glänzenden Boden.
»Wollt Ihr mir nicht Euren Namen verraten? Wobei kann ich Euch helfen?« erkundigte sich die stämmige Edeldame freundlich.
»Nicht mir«, platzte Jorina heftig heraus. »Messire Raoul sollt
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