Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jorina – Die Jade-Hexe

Jorina – Die Jade-Hexe

Titel: Jorina – Die Jade-Hexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Cordonnier
Vom Netzwerk:
half wenig, dass er sich wie ein Kind auf der dünnen Strohschicht des Schragenbettes zusammenrollte und die schäbige Decke über die Schultern zog. Es blieb kalt. So kalt, dass er nach und nach jede Erinnerung an Wärme und Sonne verlor.
    Weshalb machten sie sich überhaupt die Mühe, ihn einmal am Tag auf den Abtritt zu führen und ihm Essen und Trinken zu geben? Einfache, aber ausreichende Nahrung. Wollte sich Jean de Montfort nicht nachsagen lassen, dass der Verurteilte halb verhungert unter den Galgen wankte? Wie lange ließen sie ihn noch auf seinen Tod warten?
    Anfangs hatte er es versäumt, sich die Abfolge der Tage zu merken oder zu markieren, und nun wusste er nicht mehr, wie lange er sich schon hinter diesen Mauern befand. Hatte man bereits Weihnachten gefeiert? Wie lange würde es noch dauern, bis man ihn endlich von seinen eigenen quälenden Gedanken befreite? Von den Vorwürfen, den Bildern und den Worten, die ihn verfolgten?
    Wie dumm und jämmerlich eingebildet er doch gewesen war. So überzeugt von der eigenen Unfehlbarkeit, dass er es selbst nicht fassen konnte. Die Tage und Nächte wurden endlos, wenn man sie mit Reue und Einsicht füllte. Wenn sich die eigenen Fehler zu Bergen häuften.
    Metallisches Klirren im Schloss und das Kreischen des eisernen Riegels neben ihm rissen ihn jäh aus seinen Betrachtungen. Er warf einen Blick auf das Brot und die Schüssel Getreidebrei, die man ihm im Morgengrauen gebracht hatte. Er hatte sich kaum überwinden können, ein paar Löffel des kalten, zähen Gerichts zu sich zu nehmen, und auch die lagen ihm plötzlich wie Kieselsteine im Magen. Es war so weit. Die Unterbrechung des quälenden Einerleis konnte nur eines bedeuten: Die Würfel waren gefallen.
    Er verspürte keine Angst, nur ergebenes Bedauern. Die späte Einsicht eines Mannes, der schmerzlich begriffen hatte, dass er sich den größten Teil seiner Schwierigkeiten durch falschen Stolz, dummen Ehrgeiz und blinde Gewalt selbst eingebrockt hatte. Viel war nicht mehr übrig von dem anmaßenden Selbstbewusstsein, das ihn vor der Schlacht von Auray in solchem Stolz auf alle anderen hatte hinabsehen lassen. Er bot den eintretenden Männern das Bild eines beherrschten, ruhigen Mannes, der älter als seine Jahre wirkte.
    »Raoul de Nadier?«
    »Wen habt Ihr denn erwartet?« Er konnte sich diese Gegenfrage nicht versagen.
    »Folgt mir!«
    Es gab nur eine Erklärung für diese militärisch knappe Aufforderung. Für den Bruchteil eines Herzschlages lief ein Schatten über das hagere Männerantlitz. So war dies also sein letzter Gang. Keine Verhandlung, keine Möglichkeit der Verteidigung, nicht einmal ein Priester, der ihm die Absolution erteilte.
    »Ich bin bereit!«
    Die hagere Gestalt straffte sich. Der Ritter wischte in alter Gewohnheit die widerspenstigen Haare aus der Stirn. Wie närrisch, sich ausgerechnet in diesem Moment zu wünschen, er wäre sauber, gekämmt und ohne jenes wirre Bartgestrüpp, das ihm in den vergangenen Monaten gewachsen war. Machte es eine Hinrichtung weniger demütigend, wenn man sauber und gepflegt aussah? Wenn man nicht barfuß und in Lumpen vor seinen Schöpfer trat?
    Er hatte Fertigkeit darin erlangt, unliebsame Gedanken hinter einer stoischen Miene zu verbergen, und so machte er auch dieses Mal den Eindruck hochmütiger, vollkommener Gelassenheit auf die Gardisten des Herzogs, die ihn abgeholt hatten. Nur er selbst wusste, wie schwer es ihm fiel, ihnen durch das Labyrinth der hallenden Gänge zu folgen, die ihn treppauf, treppab durch die Burg führten. Wohin brachten sie ihn? Die kühlen glatten Marmorquadrate, die nun die steinernen Quadrate ablösten, gaben ihm einen unerwarteten Anhaltspunkt.
    Sie näherten sich zweifellos den Räumen des Herzogs. Gedachte Jean de Montfort ihm auch die letzte und vollkommenste Demütigung eines Ritters zuzufügen? Wollte er ihm vor der Hinrichtung seine ritterlichen Ehren aberkennen und ihn aus der Gemeinschaft aller christlichen Kämpfer ausstoßen?
    Ein tiefer schwerer Atemzug weitete die Brust des Gefangenen, und der grüne Blick glitt verächtlich über die Neugierigen, die im Audienzsaal des Herzogs vor ihm zurückwichen, als hätten sie Angst, dass das Ungeziefer aus seinen Lumpen auf sie übersprang.
    »Der Gefangene aus dem Turm«, verkündete der Hauptmann den Wächtern vor der doppelflügeligen geschnitzten Tür, die sich daraufhin lautlos vor ihnen auftat.
    Raoul de Nadier vernahm das erstaunte Raunen hinter seinem Rücken und

Weitere Kostenlose Bücher