Josef und Li: Roman (German Edition)
eines Kusses höchstens eins auf die Nase geben würde. Máchal brachte für das Spektakel sogar sein Fernrohr mit.
Josef begann schon durch das ewige Auf- und Ablaufen einen kleinen Weg durchs Gras zu bahnen, doch da war weit und breit keine Helena. Er dachte schon, sie hätte es sich anders überlegt und würde nicht kommen. Und er war darüber sogar froh. Er wollte schon die Jungs rufen, um ihnen zu sagen, dass er nicht länger warten würde und ob sie nicht Lust hätten, Fußball zu spielen. Doch da ging das Türchen auf und Helena schlüpfte hinein.
Und je näher sie kam, desto banger wurde es Josef. Noch war es nicht zu spät, noch konnte er alles zurückdrehen, es könnte alles wie früher sein. Doch die drei Augenpaare hinten im Gebüsch funkelten so spöttisch, und wenn sie sehen würden, dass er vor Helena davonlief, müsste er sich bis an sein Lebensende schämen.
»Was hast du denn so Wichtiges für mich?«, fragte Helena, als sie vor ihm stand, und Josef zog sein zerknittertes Taschentuch heraus. Helena dachte wohl, dass er sich die Nase putzen wollte, doch zu ihrer Verwunderung packte er einen Ring aus. »Was ist das?«, hauchte sie, als der Edelstein in der Herbstsonne zu funkeln begann.
Auf der südlichen Seite raschelte es heftig. Hnízdil riss Máchal das Fernrohr aus den Händen und seine Augen fielen beinahe aus den Augenhöhlen.
»Du willst dich mit mir verloben?«, piepste Helena und sah Josef an, wie noch nie zuvor. Josef kannte sich in solchen Dingen
nicht aus, doch er ahnte, dass die Mädels darauf standen, und so nickte er – wenn schon nicht vollauf begeistert, so immerhin ein wenig erleichtert.
»Ich will mich auch mit dir verloben«, flüsterte Helena, als Josef ihr den Ring an den Finger zu stecken versuchte. Zuerst an den Ringfinger, dann an den Mittelfinger und schließlich an den Daumen.
»Das kann doch jeder! Auf Gold und Diamanten fällt doch jeder rein. Erst recht die Weiber!«, zischte Hnízdil aus den Büschen heraus.
In dem Augenblick drehte sich Josef in seine Richtung und grinste triumphierend.
»Aber einen Kuss hat er noch nicht gekriegt! Vielleicht sackt sie nur das Gold ein und küsst ihn gar nicht!«, platzte es aus Hnízdil heraus und er fing an, sich mit Máchal um das Fernrohr zu prügeln. Schließlich schnappte sich Šíša das Ding, obwohl er der Kleinste von allen war. Und er erstarrte gänzlich. Helena kam ganz dicht an Josef heran, beugte ein wenig den Kopf vor und spitzte die Lippen.
»Sie hat ihn geküsst!«, rief er mit unterdrückter Stimme, als er durch das Fernrohr beobachtete, wie Helena Josef nach einer Weile zu sich herzog und ihn küsste – hätte sie gewartet, bis Josef sich traut, hätte sie ewig warten können.
Die Jungs machten sich ohne ein Wort auf und davon, und Josef hörte nur noch den dumpfen Aufprall, als sie von der Mauer sprangen. In einer Art Panikattacke lief er zum Gebüsch auf der südlichen Seite, schwang sich auf die Mauer und rief: »Wartet doch!!!«
Die drei liefen allerdings bereits durch den dunklen Hof,
ohne sich nur einmal umzusehen. Josef wäre am liebsten hinterhergelaufen, doch da hörte er unter sich eine Stimme: »Um Himmels willen, was machst du?«
Josef blieb nichts anderes übrig, als zu Helena in den Garten zurückzukehren.
»Von nun an werden wir immer zusammen sein, nicht wahr?«, sagte Helena und richtete ihre großen blaugrünen Augen auf Josef. Was hätte er am Vormittag für diesen Blick gegeben. Doch jetzt wusste er nicht, was er mit ihm anfangen sollte.
»Jetzt sind wir doch verlobt …«, sagte Helena, blickte vielsagend auf den Ring an ihrem Daumen und sagte vollkommen ernst: »Für immer!«
2
Josef stopfte die Spaghetti lustlos in sich hinein und glich dabei ein wenig Frau Kličková, wenn ihr morgens die schwärzesten Gedanken durch den Kopf schwirrten.
Das heißt also er, Josef Klička, Schüler der 5a, hatte sich verlobt! Er war froh und gleichzeitig nicht froh darüber und es fiel ihm gar nicht auf, dass er die Blicke von Frau Kličková, Herrn Klička, Vendula und sogar von der Schildkröte, die zusammen mit der Familie – allerdings unter dem Tisch – zu Abend aß, auf sich zog.
»Was ist los mit dir?«, fragte Frau Kličková und legte Josef die Hand auf die Stirn, um zu sehen, ob sie sich heiß anfühlte. Noch bevor er antworten konnte, ratterte die Türglocke und Frau Kličková lief los, um aufzumachen.
Voller Entsetzen stellte sich Josef vor, wie Frau Bajerová mit Helena an
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