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Josef und Li: Roman (German Edition)

Josef und Li: Roman (German Edition)

Titel: Josef und Li: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Vovsova
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gute zwei Monate leben konnte.
    »Und das sind unsere Kinder – Vendula und Josef«, sagte die Mutter mit Nachdruck, als ob sie Herrn Klička daran erinnern wollte, dass er bereits vergeben war und dass Marta kein Kanapee war und er sie daher auch nicht so hingebungsvoll anzuschauen brauchte.
    Josefs Leben ließ sich in zwei Hälften teilen: vor der Verlobung und nach der Verlobung. Vor der Verlobung, das heißt also noch gestern, konnte er tun und lassen, was er wollte, wohingegen er nach der Verlobung nur das tun konnte, was Helena wollte.
    Gleich in der Früh musste er ihre Mathe-Hausaufgaben machen, und nach der Schule ging er mit ihr zur Reinigung, dann zum Ballett und in den Nähladen. Das hatte er vorher auch schon gemacht, doch nun musste er alles allein machen. Allein saß er auf der Parkbank und nähte einen funkelnden Aufnäher auf die rosa Handtasche, allein stand er vor den Fenstern der Ballettschule und wartete, bis die Stunde zu Ende war, auch wenn es schüttete und ein eisiger Wind wehte – das war nicht gerade angenehm. Und besonders unangenehm war es, wenn Máchal, Hnízdil und Šíša sich wie zufällig auf ihren Rädern um ihn herumtummelten, ihn auspfiffen und Josef ganz genau wusste, was sie dachten: Na siehst du, du Hornochs, jetzt hast du, was du wolltest, läufst ihr halt allein hinterher!
    Zudem verlor Helena ihr einstiges Interesse an Fußball, Marsmenschen, Rechnern, Motoren und Erkundungstouren, und als Josef das Schachspiel hervorzog, damit sie spielen konnten, keifte sie höchst gelangweilt und voller Desinteresse: »Oh Gott wie langweilig, Schnarch!«
    Doch das alles ließ sich aushalten, denn Josef konnte Schach auch im Geist spielen. Oder er stellte sich andere Dinge vor. Zum Beispiel die Weltkarte. Er zeichnete darin alle Festungen, Oasen, Häfen, Wüsten und Seen ein, die er mit seinem Wasserlandmotorrad durchfuhr, während er in Wirklichkeit
Helenas Gartenbeet jätete – so bezeichnete er das Stückchen Erde, auf dem er sich schon den halben Nachmittag abmühte.
    Helena hatte nämlich beschlossen, den verlassenen Garten herzurichten und daraus ihr vorläufiges Quartier zu gestalten. Und so rechten die beiden Blätter zusammen, rissen Brennnesseln aus und wurden dabei von der Wand auf der südlichen Seite heimlich von drei Augenpaaren beobachtet. Das waren Máchal, Hnízdil und Šíša. Sie tauschten zwar hämische Blicke und bestätigten einander in dem Gedanken, dass Josef ein armes Würstchen sei, das sich zu Tode arbeitete, im Grunde ihres Herzens aber hätten sie auf der Stelle mit ihm getauscht.
    Das Rupfen von Unkraut und Aufsammeln von Fallobst war aber nicht das Schlimmste. Das sollte erst kommen. Kurz vor fünf fing es so stark zu regnen an, dass sich Wasserfäden durch das dürftige Dach in die Gartenlaube hineinsponnen, wohin Josef und Helena vor dem Regen geflüchtet waren. Sie waren nass bis auf die Knochen und klapperten vor Kälte mit den Zähnen, und so verlor Helena nach kurzer Zeit die Geduld, packte Josef an der Hand und lief mit ihm nach Hause – zu ihr nach Hause!
    Manchmal können auch Giebelfenster, spitz zulaufende Schornsteine, Stuckverzierungen oder Balkone mit ziseliertem Gitter seltsame Gefühle hervorrufen. Und dieses Haus löste ebensolche Gefühle aus. Zumindest in Josef. Und schon näherte er sich diesem Haus – also das heißt Helena näherte sich, und indem sie Josef hinter sich herzog, näherte sich auch Josef dem Haus.
    Als Helena das Haustor aufsperrte, öffnete sich vor Josef eine dunkle Höhle. In Wirklichkeit handelte es sich um ein
ganz gewöhnliches Treppenhaus mit Briefkästen und unterschiedlichen Abfallbehältern zum Mülltrennen, doch Josef kam es wie eine Höhle vor.
    Bevor ihn Helena in diese Höhle schob, konnte er noch aus dem Augenwinkel sehen, wie sich an der nächsten Ecke drei Köpfe reckten – Máchal, Hnízdil und Šíša. Wenn er geahnt hätte, wie neidisch die Jungs waren, dass er zu Helena hinaufdurfte, einfach so, als ob nichts wäre – also es war ja was, es regnete –, während sie unten am Gehsteig herumlungern mussten, dann wäre es für ihn sicher leichter gewesen, mit ihr nach oben zu gehen.
    An der Tür der Wohnung im ersten Stock, wo Helena mit ihrer Mutter wohnte, hing noch vom vorigen Weihnachtsfest der Rest eines Mistelzweiges und auch ein Schild, auf dem geschrieben stand: Vorsicht, bissiger Hund! Josef erwartete, dass aus den Tiefen der Wohnung mindestens ein wolfshundartiges Wesen auftauchen

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