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Josefibichl

Josefibichl

Titel: Josefibichl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Ritter
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Richtung Seitenfenster, woraufhin sein junger Fahrer rechtzeitig dreihundert Meter vor der Polizeiinspektion stoppte, um sein Vertreterauto sauber zu halten. Hartinger ließ sich halb aus der Beifahrertür fallen, winkte dem Kaffeemann und verschwand hinter einem Baum. Der rote Passat verabschiedete sich mit einem kurzen Quietschen der Vorderreifen.
    Karl-Heinz Hartinger war sich des Risikos wohlbewusst, sich in unmittelbarer Nähe des Leichenfundortes, der Polizeiinspektion sowie des Wohnortes des Toten aufzuhalten. Hätte man die drei Orte miteinander verbunden, hätte sich ein Dreieck mit jeweils dreihundert Metern Abstand zwischen den Eckpunkten ergeben. Eigentlich hätte es von Polizei nur so wimmeln müssen. Aber Hartinger sah keinen grün-weißen oder grün-silberfarben-folierten BMW oder Audi, kein Hubschrauber mit Wärmebildkamera kreiste über ihm, kein Hüter des Gesetzes war zu sehen.
    Karl-Heinz Hartinger war es beinahe unheimlich, dass sie ihn noch nicht erwischt hatten. Als er sich zu Fuß von der Münchner Straße über den Wankbahnhof und den Berggasthof Panorama zum Franziskanerkloster bewegte, drehte er sich ständig um, ob nicht ein Uniformierter hinter ihm aus den Büschen springen würde.
    Die Viertelstunde Fußmarsch hinauf zum Kloster sah ihn niemand außer zwei holländischen Wohnmobilfahrern, die die Nacht auf der dafür vorgesehenen Fläche des Wankbahnhofs verbracht hatten. Die würde man sicherlich nicht nach ihm befragen, geschweige denn, dass sie sich an ihn erinnern würden.
    Viertel vor neun nahm Hartinger all seinen Mut zusammen und klopfte an der Pforte von St. Anton. Nie im Leben hatte er wieder einen Fuß über die Schwelle eines Gotteshauses setzen wollen. Mit diesem Vorsatz musste er allerdings brechen. Seine Freiheit und – wer wusste, was und wer hinter dem Mord an dem Mönch steckte? – vielleicht sein Leben standen auf dem Spiel. Und wenn Letzteres zutraf, dann vielleicht auch noch das Leben anderer.
    Abt Gregorius hatte viel erlebt. Er war vor beinahe fünfzig Jahren dem Bettelorden der Franziskaner beigetreten. Als Bruder dieses Ordens war er der handwerklichen Arbeit und der Seelsorge mehr verpflichtet als Mönche anderer Bruderschaften, die sich in ihren Klöstern zurückzogen, um ihr Leben allein Gott zu widmen. So hatte er auf Wanderschaften und seinen Stationen in mehreren Klöstern auf allen Erdteilen Menschen und ihre Sorgen, Nöte und Abgründe kennengelernt.
    Was in den vergangenen vierundzwanzig Stunden geschehen war, hatte auch ihn viel Kraft gekostet. Und auf einmal stand ein Mann vor ihm, den er als Jugendlichen gut gekannt hatte. Es wäre ihm lieber gewesen, diesen Karl-Heinz Hartinger nie wiederzusehen. Doch seine Berufung ließ nicht zu, diese Seele an der Klostertür abzuweisen.
    Leise drückte Abt Gregorius die schwere Pforte in ihr Schloss, nachdem Hartinger durch den Spalt geschlüpft war, den ihm der alte Mönch aufgetan hatte. Lange sah der zwei Köpfe kleinere alte Mann an dem Hünen empor. Die wässrigen blauen Augen des Alten fixierten die dunklen Pupillen des Mannes, der sich schon als Kind so gegen die Kirche und ihre Vertreter aufgelehnt hatte, dass nicht wenige in der Kirchengemeinde Partenkirchen fest davon überzeugt gewesen waren, der Bub wäre vom Teufel besessen.
    »Was willst du?«, fragte Gregorius knapp.
    »Ich will wissen, was passiert ist.«
    »Das wollen alle.«
    »Alle?«
    »Einer weiß es.«
    »Und den werde ich finden«, versprach Hartinger dem Mönch.
    Gregorius drehte sich um und hieß Hartinger mit einem Kopfnicken zu folgen.
    Der Abt führte ihn in sein Studierzimmer im Erdgeschoss des Klosters und wies ihm einen Platz auf der hölzernen Bank zu, die normalerweise für neu angelieferte Bücher als Ablage diente, bis sie in die Bibliothek aufgenommen wurden.
    Gregorius blieb vor der deckenhohen Bücherwand stehen, die mit alten Folianten und neuen Taschenbüchern vollgestopft war. Handarbeit und Seelsorge waren nicht die einzigen Beschäftigungen im Kloster. »Bevor wir über das schreckliche Ereignis des gestrigen Tages sprechen, mein Sohn, möchte ich, dass du dich erklärst.«
    Hartinger wusste mit dieser Ansage nichts anzufangen und schaute den Abt stirnrunzelnd an.
    »Ich möchte, dass du hier und jetzt erklärst, wie du zur Kirche stehst«, machte Gregorius sein Anliegen deutlich.
    »Ah, Gretchenfrage.«
    »Wenn du so willst: Gretchenfrage.«
    Hartinger atmete einige Male tief ein und wieder aus. »Ich habe kein

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