Josefibichl
Verhältnis mehr zur Kirche. Kein gutes und kein schlechtes. Einfach keins.«
Der Mönch nahm es zufrieden zur Kenntnis. »Das ist ein Fortschritt, findest du nicht? Darauf können wir aufbauen.«
»Wenn Sie so wollen.«
Beide Männer schauten sich eine gefühlte halbe Ewigkeit in die Augen.
»Du hast Engelbert also nicht auf dem Gewissen.« Abt Gregorius‘ Blick drang förmlich in Hartinger ein.
»Nein. Ich war es nicht. Ich will herausfinden, wer es war.«
Gregorius wusste alles, was in den Zeitungen und deren Onlinediensten zu dem Fall erschienen war. Dass er alt und ein Mönch war und in einem kleinen Kloster in den Bergen wohnte, hinderte ihn nicht daran, am Leben, insbesondere demjenigen, das das Internet frei Haus lieferte, regen Anteil zu nehmen.
»So verrückt, dass du einen Bruder umbringst und am nächsten Tag an meiner Türe klopfst, bist du nicht, Karl-Heinz.«
Selten wurde Hartinger mit seinem Vornamen angesprochen. Die meisten Leute nannten ihn Gonzo. Die von Garmisch-Partenkirchen schon seit seiner Jugend, weil er mit seiner Hakennase an die gleichnamige Puppenfigur aus der Muppet Show erinnerte. Die in München, weil er dort in seiner guten Zeit ein später Vertreter des amerikanischen Gonzo-Journalismus war, der harten, den Schreiber sich selbst in Szene setzenden Schreibe. Der Ausdruck leitete sich vom amerikanischen Slangwort für »exzentrisch« ab, und das war Hartinger von klein auf gewesen. Von daher hatten seine Partenkirchner Spezln schon sehr früh den richtigen Spitznamen für ihn gefunden.
Abt Gregorius kannte Karl-Heinz Hartinger ebenfalls von frühester Jugend an. Er hatte in den Siebzigern in der Partenkirchner Grund – und Hauptschule ein paar Jahre lang als Religionslehrer ausgeholfen, und den kleinen Karl-Heinz hatte er als sehr wortbegabten, aber stets renitenten Schüler kennengelernt und bereits in der zweiten und dritten Grundschulklasse auch ein wenig gefürchtet.
»Wenn sie mich kriegen, haben sie einen Verdächtigen, der zu gut als Täter taugt«, sagte Hartinger. »Ich muss den wahren Schuldigen finden, bevor sie mich haben.«
»Verstecken kann ich dich hier nicht. Sie werden kommen und keinen Stein auf dem anderen lassen. Ich muss zuallererst dieses Kloster schützen.« Gregorius blickte durch das große Fenster seines Studierzimmers weit in das Wettersteingebirge hinein.
»Das will ich auch nicht. Ich brauche nur Informationen von Ihnen. Ich muss alles wissen über den jungen Bruder. Und zwar jetzt.«
Hartinger wusste nicht, ob er dem alten Mönch trauen konnte. Der war immer ein Verfechter der harten Linie gewesen. Als er damals kurz vor seinem Weggang aus Garmisch-Partenkirchen die Sache mit der jungen Caritas-Schwester aus Polen hatte aufdecken wollen, war Gregorius einer der Kirchenmänner gewesen, die versucht hatten, die Geschichte unter einem bleiernen Deckel zu begraben.
Gregorius und Hartinger zählten zu den letzten Menschen im Tal, die wussten, was sich vor gut zwanzig Jahren zugetragen hatte. Warum Hartinger abgehauen war. Abhauen musste.
Die junge Krankenschwester Maria Rudzinska hatte die Öffnung des Eisernen Vorhangs genutzt, um sich an einem der schönsten Orte des lange ersehnten Westens niederzulassen: im Werdenfelser Land, von dem sie bis dahin nur alte Bilder in den Zigarettenbilder-Alben ihrer Großeltern gekannt hatte. Die katholische Caritas-Station, die sich um die Pflege von Alten und Behinderten kümmerte, die zu Hause statt im Krankenhaus oder Pflegeheim versorgt wurden, war für die tüchtige und gut ausgebildete Schwester sehr dankbar gewesen.
Zwei Jahre lang ging alles gut. Dann begegnete sie dem nicht wesentlich älteren Kaplan aus Partenkirchen. Sie lernten sich am Sterbebett einer alten Frau kennen. Maria hatte sie in ihren letzten Stunden noch einmal sauber gemacht und ihr frische Kleidung angezogen. Der Kaplan gab der Sterbenden als diensthabender Pfarrer die Letzte Ölung.
Aus dieser Begegnung entstand wohl eine Beziehung. Eine Liebe? Jedenfalls eine Schwangerschaft. Maria wurde von den Vertretern der katholischen Kirche daraufhin – wie seit Jahrhunderten in solchen Fällen üblich – unter der Hand finanziell unterstützt. Man zahlte ihr eine Zugfahrkarte, einfache Fahrt, nach Polen, wo man bereits einen Platz in einem Waisenhaus in Chelm an der weißrussischen Grenze für ihr Kind und für sie eine Stelle als Krankenschwester im sechshundert Kilometer entfernten Gdansk an der Ostsee besorgt hatte.
Alles lief
Weitere Kostenlose Bücher