Josefibichl
Bei der Hitze war da sicher niemand unterm Dach. Er verließ seine nicht ganz legale Spähposition, bedeutete seiner Kollegin im Vorbeigehen per Kopfnicken, ihm schnell zu folgen, und setzte sich in den Wagen.
Sie klapperten die Kneipen der beiden Ortsteile ab, was sich über eine Stunde hinzog. Dann: Teilerfolg für Loisach vier im Bräustüberl. Ja, der Hartinger Gonzo sei kurz nach acht da gewesen, habe schnell ein saures Lüngerl verdrückt, dabei ein alkoholfreies Weißbier heruntergestürzt und sei dann ziemlich unvermittelt wieder davongeradelt. Wohin? Ja, das wusste die Bedienung Anni auch nicht so genau, nur habe er es während des Bezahlens wahnsinnig eilig gehabt und noch gesagt: »Den um neun muss ich erwischen!« Dabei habe es sich sicherlich um einen Zug gehandelt oder einen Bus, meinte die Anni.
Bevor die Männer vom Stammtisch mit ihren Fragen auf die jungen Polizisten losgehen konnten, was zum Teufel denn da oben in Partenkirchen los sei, weil dort seit Stunden alles abgesperrt sei, und ob wohl ein Blindgänger aus dem Krieg dort gefunden worden wäre, waren die beiden wieder im Audi und jagten – diesmal mit vollem Orchester – in Richtung Bahnhof, wo sie den Neunuhrzug nach München knapp verpassten.
Also weiter die Bahnstrecke entlang. Oberau – Ohlstadt – Murnau – Huglfing . . . Kurz vor Weilheim endete die Zuständigkeit der Polizeiinspektion Garmisch-Partenkirchen. An keinem Halt stieg Hartinger aus. Und im Zug war er auch nicht, wie Janine Wagner sicherstellte, die seit Ohlstadt im Zug mitgefahren war und alle Wagen bereits in Murnau durchsucht hatte.
Bernbachers verzweifelter Funkruf nach seinem Streifenwagen Numero vier musste ins Leere gehen, nachdem dieser die beiden Eschenloher Tunnels hinter sich gelassen hatte und die alte analoge Funktechnik an die Grenze ihrer Reichweite gebracht war. Umgekehrt versuchte Oberbrück mehrfach, Bernbacher per Handy zu erreichen, doch in der Aufregung hatte der Leiter der Polizeiinspektion Garmisch-Partenkirchen sein Mobiltelefon bei der Rückkehr vom Leichenfundplatz leider im Auto liegen lassen.
Karl-Heinz Hartinger war vom Radar der bayerischen Polizei fürs Erste verschwunden. Er hatte den Zug in Oberau auf der dem Bahnsteig abgewandten Seite verlassen und war – hinter dem gerade vor dem Bahnhof anrauschenden Audi der beiden jungen Polizisten – zurück zur Bundesstraße gerannt und von dort geradewegs zur Shell-Tankstelle am Ortsausgang, wo er einen italienischen Milchlasterfahrer fragte, ob er ihn mit nach München nehmen könne.
Der Trasporto Latte ließ ihn kaum eine Stunde später im Westen der bayerischen Landeshauptstadt an der Aral-Tankstelle auf dem Mittleren Ring wieder aussteigen, bevor er auf die Lindauer Autobahn einfädelte, um irgendwo im Allgäu fünfundzwanzigtausend Liter Milch abzuholen, die – in Italien zu echtem Mozzarella verarbeitet – wieder von einem Käselaster zurücktransportiert werden sollten.
Hartinger hatte an diesem Tag keine Zeit, sich über diesen innereuropäischen Warenkennzeichnungswahnsinn aufzuregen. Er war froh, dass er den grünen Häschern Garmischs erst einmal entkommen war. Auch wenn das bedeutete, dass er schneller als geplant wieder dort angelangt war, wohin er erst als geläuterter Mann hatte zurückkehren wollen: in der Stadt, die ihn ganz nach oben und ziemlich weit nach unten gebracht hatte.
Er eilte zur nächsten U-Bahn-Haltestelle am Westpark, um die Linie sechs in die Innenstadt zu nehmen. Am Marienplatz stieg er aus und wusste den Mann, den er suchte, in einem Umkreis von dreihundert Metern. Kurt Weißhaupt, ehemaliger Lokalchef der Süddeutschen Zeitung, konnte nur in Schumann‘s Bar am Odeonsplatz sitzen.
Hartinger lenkte seine Schritte durch die Theatinerstraße vorbei an den Läden internationaler Stilkonzerne, die sich in den letzten Jahren an die Stelle der eingesessenen Modehäuser gesetzt hatten, und betrat die Bar fünf Minuten später durch die versteckte Seitentür in der Galeriestraße.
Nicht viele Gestalten – und Gott sei Dank keine ihm bekannten – saßen an den kleinen Holztischen mit den roten Reserviert-Schildern. Die meisten Besucher hatten an diesem ersten warmen Sommerabend seit Wochen an einem der umkämpften Tische auf der Ludwigstraße vor dem Lokal oder auf der Terrasse im Hofgarten Platz genommen. Man ließ München mit der eigenen Grandezza um die Wette leuchten.
Auf Weißhaupt jedoch war Verlass: Er saß am hintersten Tisch links von der Bar
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