Josefibichl
entziehen und dann so deutliche Spuren zu hinterlassen, bezweifelte er selbst. Obwohl – was hatte er denn verbrochen? Was konnte er dafür, dass gerade er den toten Mönch da liegen gesehen hatte? Dass er nicht schon weiter unten eine andere Abzweigung genommen hatte und direkt ins Hasental gelaufen war? Aber er und ein toter Mönch – passender ging‘s wohl nicht.
Auf dem Weg in Weißhaupts Badezimmer verabschiedete sich Hartinger von seinem ehemaligen Chef. »Wir bleiben in Kontakt, Meister Weißhaupt.«
»Wird nicht ausbleiben«, sagte Weißhaupt, bevor er seine Schlafzimmertür zuzog. »Du schuldest den Lesern und mir die Auflösung deines kleinen Rätsels.«
Hartinger hatte, was er wollte. Weißhaupt hatte ihm sein Log-in und Passwort für den externen Zugang zum Redaktionssystem übers Internet verraten. Hartinger konnte damit an seiner eigenen Geschichte weiterschreiben.
An Feierabend oder gar Schlaf war in der Polizeiinspektion in der Münchner Straße nicht zu denken. Die mühselige Polizeiarbeit duldete keinen Aufschub. Die Spuren des Tatorts mussten gesichtet werden, die Leiche war geborgen worden und befand sich im Zinksarg auf dem Weg in die Gerichtsmedizin in München. Damit folgte der Tote seinem zufälligen Entdecker in die Landeshauptstadt.
Auch die Presse fand sich in Garmisch-Partenkirchen ein. Nachdem Hartinger unter dem schnell erfundenen Pseudonym Max Meister seine Meldung im Internetdienst sueddeutsche.de publiziert hatte, setzten sich die geschätzten Kollegen eines bekannten Boulevardblattes sofort in Bewegung und erreichten Garmisch kurz nach elf Uhr nachts. Der einzige Mensch, der nähere Auskünfte über den Verstorbenen hätte geben können, war Abt Gregorius, der die Pforte von St. Anton nicht öffnete. Das Telefon hatte der alte Mann bereits am frühen Abend ausgehängt, wohl um sich ungestört seiner Trauer und den Gebeten für den armen Bruder hingeben zu können.
Auch die Polizei hüllte sich in Schweigen, bis zumindest irgendein greifbares Ermittlungsergebnis im Fall vorlag. Also recherchierten sich die Reporter durch die Kneipen. Schließlich wurden sie im Bräustüberl von den Stammtischlern auf zwei Polizisten hingewiesen, die verzweifelt den Hartinger Gonzo gesucht hatten, und das setzte sie auf die Spur. Nach vier Runden Obstler am Stammtisch »Die G‘elchten«, der an diesem Abend tagte, wussten sie zur Sperrstunde um ein Uhr genug, um die Morgenausgabe ihrer Zeitung mit der Schlagzeile »Mord am Berg-Mönch: Drehte Pfaffenhasser durch?« aufzumachen.
Bis dahin hatte Karl-Heinz Hartinger Unannehmlichkeiten gehabt. Nun hatte er ein Problem.
Ohne zu wissen, was am Morgen auf Hunderttausenden von Titelseiten prangen würde, stellte sich LKA-Mann Bernd Schneider die gleiche Frage wie die Boulevardzeitung in ihrer Schlagzeile. Die Lösung eines Kriminalfalls war meist banal, wenn man nur genug Details richtig zusammensetzte. Aber Klavierspielen war ja auch leicht, man musste nur zur richtigen Zeit auf die richtige Taste drücken.
Er ließ sich in den Bereitschaftsraum der Polizeiinspektion Garmisch-Partenkirchen einen Kaffee bringen und dachte am Besprechungstisch sitzend laut nach. Claudia Schmidtheinrich stand auf der anderen Seite des Tisches und hielt seine Gedankenstücke am Flipchart fest.
»Toter Franziskanermönch – erdrosselt«, stellte Schneider fest.
»Erdrosselt mit der Kordel seiner Berufsbekleidung.« Claudia Schmidtheinrich schrieb mit dem dicken schwarzen Filzer »Mordwaffe: Kordel« ans Flipchart.
»Tatzeit: helllichter Nachmittag«, fuhr Schneider fort. »Tatort: am Feldkreuz.«
»Genannt Josefibichl, traditioneller Ort von Open-Air-Messen«, ergänzte Schmidtheinrich. »Ritualmord?«, fragte sie das Flipchart. Für Schlüsselfragen verwendete sie den roten Filzer.
»Leiche wird aufgefunden von Karl-Heinz Hartinger, angeblich beim Joggen zufällig vorbeigekommen«, fasste Schneider zusammen.
»In Garmisch aufgewachsen, in München als Polizeireporter bekannt und berüchtigt und von seiner Zeitung schließlich rausgeschmissen, als er einen neuen Verlagsmanager anging und es zu Handgreiflichkeiten kam«, präzisierte Schmidtheinrich. »Also durchaus niedrige Reizschwelle. Erst vor vier Wochen zurück in die Heimat, um von vorn anzufangen.« Die wichtigsten Schlagworte hielt sie schwarz auf dem Flipchart fest. »Und jetzt kommt‘s: Ist seit seiner Jugend auf Kriegsfuß mit Vertretern der katholischen Kirche. Forderte in Schülerzeitungsartikeln
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